09/12/2024 0 Kommentare
Woher nehmen Sie nur die Kraft?
Woher nehmen Sie nur die Kraft?
# Predigt
Woher nehmen Sie nur die Kraft?
Liebe Gemeinde,
woher nehmen Sie Ihre Hoffnung?
Woher nehmen Sie die Kraft, jeden Tag aufs Neue aufzustehen, Ihre Arbeit zu verrichten, den Haushalt in Gang zu halten, alle Termine einzuhalten, sich auf dieses und jenes vorzubereiten, diszipliniert, und dabei gleichzeitig all den privaten Papierkram zu bewältigen, die Überweisungen zu tätigen, die Behördenbriefe durchlesen, die Kontobescheinigungen durchsehen, die Versicherungsnachweise einsortieren, die Quittungen abheften, die Steuererklärung zusammenstellen?
Woher nehmen Sie die Kraft, die eigenen Eltern zu pflegen, die eigenen kranken Kinder zu verwöhnen oder gar zu trösten, auf ihre Allergien und Unverträglichkeiten Rücksicht zu nehmen und entsprechend einzukaufen, den Schulalltag der Kinder mitzuverfolgen, Kontakt zu den erwachsenen Kindern zu halten, zur weiteren Verwandtschaft, zu Freunden, die schon längst weit weggezogen sind? Woher nehmen Sie die Energie, das behinderte Kind in der Familie zu fördern, ihm alle Möglichkeiten angedeihen zu lassen, die es braucht?
Und wie ertragen Sie es, wenn dann noch abends das Elend der Welt aus Sie einprasselt und Sie sich die Nachrichten ansehen über ungesundes Essen, ein Übermaß an Verpackungen, über verstopfte Straßen, über hohe Abgaswerte in den Städten, über gefährliche Radwege und gefährliche Schulwege für Ihre Kinder, über die Schul- und Bildungsmisere, über die Überlastung des Gesundheitssystems und Hygieneprobleme in den Krankenhäusern. Und dann noch obendrauf all die Krisenherde um uns herum. Wie ertragen Sie das?
Man darf gar nicht so viel darüber nachdenken, was man so alles im Alltag stemmen muss. Im hohen Alter, wenn die Aufgaben nachlassen und man mit dem wenigen, was man noch zu erledigen hat, auch alle Hände voll zu tun hat, dann spürt man, wie viel einem früher doch von der Hand ging
Ebenso, wer aus der Mühle des Alltags herausgeworfen wird, durch eine längere Krankheit oder eine vorübergehende Depression oder eine Zeit der Arbeitslosigkeit, der steht dann – wenn alles wieder losgeht – vor diesem Berg von Aufgaben und kann nur hoffen, dass er oder sie all das bewältigen kann.
Sicherlich hilft uns, vieles auszuklammern, nicht immer über alles gleichzeitig nachzudenken. Und für alles, was noch oben draufkommt, sind Freiräume nötig, Freizeit, unbelastete Zeit. Wer diese Zeit hat, kann auch über die großen Probleme der Welt nachdenken. Aber sich Zeit zu nehmen, sich über die große Weltlage zu informieren und sich ein klares Bild zu machen, eine vernünftige und informierte Meinung, das ist wohl eher ein Luxus. Also ausklammern, was sich ausklammern lässt. Sich nicht mit Dingen belasten, die man jetzt eh nicht lösen kann.
Das andere, das hilft, ist: Auf das Positive zu achten. Ein wenig klingt das auch in der Lesung an, die Lene uns eben vorgetragen hat. Jesus sagt: „Schaut euch den Feigenbaum an und all die anderen Bäume. Wenn ihr seht, dass sie Blätter bekommen, dann wisst ihr: Der Sommer ist bald da.“ Achtet auf das Positive und denkt, was alles daraus werden kann. Jesus sagt: „…, was alles ganz bestimmt daraus werden wird.“
Und es gibt noch ein drittes, was uns Kraft und Hoffnung gibt. Und das ist der Zuspruch. Dass uns andere Menschen, die uns wichtig sind, gut zureden. Ich glaube, das dürfen wir nicht geringachten, denn im guten Zureden steckt Anteilnahme. Darin offenbart sich auch ein Verständnis für die eigene Not. Gutes Zureden ist die elementarste Form von Solidarität.
Der Predigttext ist so ein gutes Zureden. Er gilt Menschen, denen Unrecht widerfahren ist, Menschen, die rechtlos gemacht wurden und darüber ihre Zuversicht verloren haben. Er gilt Menschen, die im Exil leben und sich nach ihrer Heimat sehnen. Er steht im Prophetenbuch Jesaja, Kapitel 35, Verse 3 bis 10:
Macht die müden Hände wieder stark und die weichen Knie wieder fest. Sagt denen, die den Mut verloren haben: »Seid stark und habt keine Angst! Seht, das ist euer Gott! Er übt Vergeltung und schafft Recht. Er selbst kommt, um euch zu befreien.« Dann gehen den Blinden die Augen auf, und die Ohren der Tauben werden geöffnet. Der Gelähmte springt wie ein Hirsch, der Stumme jubelt aus vollem Hals. In der Wüste brechen Quellen auf, und Bäche bewässern die Steppe. Der glühende Sand wird zu einem Teich, in der Dürre sprudeln frische Wasserquellen. Wo einst die Schakale hausten, wachsen Gras, Schilf und Papyrus. Eine Straße wird dort verlaufen, die wird man den »heiligen Weg« nennen. Kein Unreiner wird sie betreten. Sie gehört denen, die auf dem rechten Weg sind. Selbst Unwissende gehen nicht in die Irre.
Auf dieser Straße gibt es keinen Löwen, kein Raubtier ist auf ihr zu finden. Nur die erlösten Menschen sind dort unterwegs. Alle, die der Herr befreit hat, kehren jubelnd zum Berg Zion zurück. Grenzenlose Freude steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Jubel und Freude stellen sich ein, Sorgen und Seufzen sind für immer verschwunden.
Ich wünsche mir einen an meiner Seite, der meine müden Hände wieder stark macht, der meine weichen Knie wieder fest macht.
Ich wünsche mir einen an meiner Seite, der mir Mut macht und mir gut zuredet: „Sei stark, hab keine Angst.“
Ich wünsche mir einen an meiner Seite, der das Unrecht sieht, das mir widerfahren ist. – Ich brauche keine Menschen, die mich in meinen Irrtümern und in meinen kleinlichen Rechthaberereien bestärken. Sondern ich wünsche mir einen, der mir da zur Seite steht, wo ich wirklich übersehen wurde, wo man mich wirklich überrumpelt und an die Seite gedrängt hat.
Ich wünsche mir einen, der die Blinden sehend und die Tauben hörend macht, damit wir alle einsichtig werden und tun, was geboten ist. Ich wünsche mir einen, der Gelähmte heilt, dass sie wieder springen können, der uns alle aus unserer Lähmung befreit. Ich wünsche mir einen, der mein Zunge löst, dass ich wieder jubeln kann. Ich wünsche mir einen, der mich heimbringt, dahin, wo ich hingehöre, wo ich ein Zuhause habe, einen Ort der Zugehörigkeit, der Geborgenheit, der Sicherheit.
Es ist Advent. Wir warten auf den, der uns retten kann. Er kommt.
Amen.
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