
27/07/2025 0 Kommentare
Wie weit reicht dein Gottvertrauen?
Wie weit reicht dein Gottvertrauen?
# Predigt

Wie weit reicht dein Gottvertrauen?
Liebe Gemeinde!
Gibt es Zeiten in Ihrem Leben, die Ihnen heute noch wie ein Schreck in Ihren Gliedern sitzen?
Eine Krankheit vielleicht, die Sie aus dem Alltag gerissen hat, ein Phase des Bangens und Wartens auf eine Diagnose, auf das Anschlagen einer Therapie – eine Zeit, die Ihnen deutlich gemacht hat, wie sehr Ihr Leben an einem seidenen Faden hängt? – eine Zeit, in der Sie bangten: Ich will doch noch wenigstens meine Kinder großwerden sehen! Ich will doch noch wenigstens ihren Schulabschluss erleben! Ich will doch noch wenigstens dieses eine Jahr erleben!
Vielleicht war es auch eine Zeit der Arbeitslosigkeit, in der Sie unter Selbstzweifel litten, in der Ihr Selbstwertgefühl im Keller war, in der Ihr ganzes Zutrauen zu Ihren Fähigkeiten, zu Ihren Talenten dahinschwand und Sie wie gelähmt waren, überwältigt von einer Dauerdepression? – eine Zeit, in der jede Absage auf eine Bewerbung Sie traf wie ein vernichtender Schlag?
Vielleicht war es auch eine Zeit der Trauer um einen lieben Menschen, der auf einmal im Alltag fehlt? - oder der Trauer um einen lieben Menschen, der sich von sich aus verabschiedet hat und seinen Weg gegangen ist, und dessen Weggang in Ihr Leben eine schmerzliche Lücke gerissen hat?
Ich bin mir sicher, wenn Sie in Ihrem Leben zurückdenken, dann fallen Ihnen einige solcher Situationen ein, in denen nur noch Beten hilft.
Aber dann wäre die nächste Frage: Was hat Sie aus dieser Lage befreit, was hat Sie aufgerichtet? Vermutlich war es die Tatsache, dass sich Ihre Situation änderte, die Krankheit überstanden war, dass sich wieder ein Arbeitsplatz fand, eine Anstellung, vielleicht auch eine Selbständigkeit, dass der Alltag wieder Gestalt annahm und sich eine Perspektive nach vorne ergab, dass sich die Trauer um den verloren gegangenen Menschen immer besser mit dem neuen Alltag versöhnen und vereinbaren ließ, dass sich die Trauer in Ihren Alltag integrieren ließ und Sie wieder nach vorne schauen konnten.
Und was für ein Gefühl beschlich Sie an dem Tag, als Sie merkten, dass Sie das tiefe Tal durchschritten hatten und es Ihnen wieder besser ging – der Schreck aber noch in Ihren Gliedern saß?
War es vielleicht das Gefühl, dass all die Gebete, die Sie in Richtung Himmel losgestoßen haben, dass all Ihre Stoßgebete, all Ihr Flehen doch erhört worden ist? War es das Gefühl der Dankbarkeit nach einer langen Durststrecke – das Gefühl: Ich will nie vergessen, wie schlecht es mir ging, und ich will mir das immer wieder vor Augen halten, damit ich dankbar bleibe für das, was ich habe?
Zeiten des Ausgeliefertseins, in denen wir selbst nichts mehr in der Hand zu halten scheinen, öffnen unsere Sinne für etwas, das wir sonst nicht sehen; das wir vor allem dann nicht sehen, wenn wir auf der Erfolgsspur sind: Wir sind auf Gottes Gnade angewiesen. Und zwar alle, die wir hier sitzen.
Solange wir auf der Erfolgsspur sind, denken wir: Das ist doch alles mein Verdienst, meine Arbeit, mein Engagement, mein Einsatz. Wir rechnen uns den Erfolg gerne selber zu.
Bitte entschuldigen Sie das verallgemeinernde „wir“. Möglicherweise geht es Ihnen persönlich anders, möglicherweise sind Sie ein demütiger Mensch, der auch im Erfolg so etwas wie Gnade sieht. Aber in der Regel streichelt es doch unser Ego, wenn alles im Leben zu unseren Gunsten läuft, wenn wir gut versorgt sind und das Leben uns gut zuspielt. Und noch mehr streichelt es unser Ego, wenn wir uns dann selbst zusprechen: „Das habe ich mir auch verdient.“
Nur wehe dir, wenn die Glückssträhne abbricht und du plötzlich merkst: Das Glück ist dir Unhold. Dein Ego zerbricht. Und deine Kraft liegt auf einmal am Boden. Kannst du dann noch sagen wie Hiob, der reiche Mann, dem alles genommen wurde: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Gelobt sei der Name des Herrn“?
Ich möchte Ihnen etwas vorlesen. Ein Stück, das von einem Menschen handelt, der nie vergessen hat, wie sehr er auf seinem Weg auf Gnade angewiesen ist. Der dieses Gefühl, auf Gott angewiesen zu sein, auch in den Momenten seines höchsten Triumpfes immer mit sich getragen hat.
Dieser Mensch blickt nicht unbedingt auf eine Krise zurück, in der es ihm schlecht erging. Vielmehr blickt er auf einen Irrweg zurück, auf eine Zeit, an die er sich nur mit Scham erinnern kann; auf eine Zeit, die ihm abgrundtief peinlich sein muss.
Er hat einen neuen Weg eingeschlagen. Er hat seine Schuldgefühle nicht abgeschüttelt, aber er hat sie integrieren können in ein neues „Ich“. Er hat Demut angenommen, seine alte Überheblichkeit überwunden, sein großes Ego ersetzt durch eine Art Antistolz: durch einen Stolz darauf, eben nicht Urheber seines Glückes zu sein; durch einen Stolz darauf, sagen zu können: Was ich auch empfange, ich empfange es aus der Hand des Herrn, und ich nehme es mit Freuden an.
Dieser Mensch heißt Paulus. Und der Text, den ich Ihnen vorlese, ist aus der Perspektive des Paulus geschrieben. Man geht davon aus, dass nicht Paulus selbst Urheber dieser ist, sondern dass ein Schüler des Paulus ihm diese Worte in den Mund gelegt hat – dass ein Schüler des Paulus ihm den ganzen Timotheusbrief, wie wir ihn im Neuen Testament vorfinden, in den Mund gelegt hat.
Aber man geht auch davon aus, dass diese Worte durchaus zur Persönlichkeit des Paulus gepasst haben. Ich lese vor aus dem 1. Timotheus 1,12-17. Dort heißt es – und das „Ich“ steht für den Apostel Paulus:
Ich danke Christus Jesus, unserem Herrn, der mir die nötige Kraft gegeben hat. Denn er hat mir sein Vertrauen geschenkt und mich in seinen Dienst genommen. Dabei habe ich ihn früher verhöhnt und verfolgt und mich voll Überheblichkeit gegen ihn gestellt. Aber er hat mir sein Erbarmen geschenkt. Denn ungläubig, wie ich war, wusste ich nicht, was ich tat. Ja, unser Herr schenkte uns Gnade über alle Maßen. Mit ihr schenkte er uns den Glauben und die Liebe, die aus der Verbundenheit mit Christus Jesus erwachsen.
Auf das Wort, das ich dir nun sage, kannst du dich verlassen. Es ist wert, von allen angenommen zu werden: Christus Jesus ist in diese Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Und ich selbst bin der Schlimmste unter ihnen. Aber gerade deshalb hat er mir sein Erbarmen geschenkt. Denn Christus Jesus wollte an mir als dem Schlimmsten beispielhaft seine ganze Geduld zeigen.
Sie gilt allen, die künftig zum Glauben an ihn kommen und dadurch das ewige Leben empfangen. Dem ewigen König, dem unvergänglichen, unsichtbaren und einzigen Gott gebührt die Ehre. Er regiert in Herrlichkeit für immer und ewig. Amen!
Gestern Abend hat die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau im Paul-Gerhardt-Haus gepredigt, Christiane Tietz. Sie hat über Dietrich Bonhoeffers Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ gepredigt.
Darin findet sich die Zeile: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, / des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand, / so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern / aus deiner guten und geliebten Hand.“
Das ist eine sehr schwere, aber doch ausgesprochen tröstliche Zeile, finde ich. Hier erklärt Dietrich Bonhoeffer Gott zu dem, der mir das Leid zumutet. Er erklärt Gott zum Urheber seines Leids. Und wir wissen, in was für einer extremen Situation Dietrich Bonhoeffer diese Zeilen schrieb. Er saß im Todestrakt des Gefängnisses, er wusste, er kommt nicht mehr lebend aus dem Gefängnis heraus.
Christiane Tietz ist Bonhoeffer-Spezialistin. Sie war bis vor kurzem noch Professorin in Zürich – auf einem der renommiertesten Theologischen Lehrstühle überhaupt. Sie sagte mir nach dem Gottesdienst: Das sei eine für Bonhoeffer untypische Zeile. Eigentlich sah Bonhoeffer auf den Mensch gewordenen, auf den ohnmächtigen Gott.
Er machte sonst Gott eben nicht für das Elend in der Welt verantwortlich.
Aber hier, im Gefängnis, als ihn das Leid selbst aufs Härteste traf, dichtet er anders, nimmt er das Leid an als eines, das von Gott gesandt ist, aus Gottes guter und geliebter Hand.
Mich lässt dieser Gedanke nicht los. Denn ich glaube, in dieser Wendung, die Dietrich Bonhoeffer mit seinem Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ nimmt, gibt er zum Ausdruck, dass sein ganzes Leben, auch sein schweres, in Gottes Hand liegt. Dass er mit Hiob sagen kann: „Gott hat’s gegeben, Gott hat’s genommen. Gelobt sei der Name des Herrn“.
Das Elend in der Welt, auch mein persönliches Elend, bleibt eine der großen Zumutungen des Glaubens. Wie können wir sagen: „Unser Leben, alles Leben kommt aus der Hand eines gütigen und wohlmeinenden Gottes?“, und dann sehen wir, wie die Welt um uns untergeht!
Ich meine, die Frage dahinter ist, wie weit unser Gottvertrauen reicht. Wann zerspringt der Faden, und wir wenden uns von Gott ab? Wie lange hält er, wie lange können wir sagen: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, / des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand, / so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern / aus deiner guten und geliebten Hand.“
Ich wünsche uns allen, dass Gott uns immer dann so viel Widerstandskraft und so viel Lebensbejahung und Lebensmut schenkt, wie wir brauchen.
Ich wünsche uns allen, dass wir die Geduld haben, diesen Moment abzuwarten und dann in Demut urteilen. Und dann – so bin ich mir sicher – können wir alle sagen:
Der Herr schenkte uns Gnade über alle Maßen. Mit ihr schenkte er uns den Glauben und die Liebe, die aus der Verbundenheit mit Christus Jesus erwachsen. Christus Jesus ist in diese Welt gekommen, um uns Sünder, um uns kleingläubige Menschen zu retten. Und ich selbst bin der ärgste Sünder unter ihnen, ich selbst bin der Kleingläubigste überhaupt. Aber gerade deshalb hat er mir sein Erbarmen geschenkt.
Amen.
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