08/08/2024 0 Kommentare
Wem können Sie wirklich vertrauen?
Wem können Sie wirklich vertrauen?
# Predigt
Wem können Sie wirklich vertrauen?
Liebe Gemeinde,
wem vertrauen Sie, wem eher nicht? Ich meine jetzt nicht die Menschen, die Sie schon lange kennen, bei denen Sie wissen, dass Sie auf sie zählen können – obwohl man ja auch da, wenn es hart auf hart kommt, immer wieder Überraschungen erlebt.
Welche Qualitäten braucht ein Mensch, den Sie noch nicht lange kennen, der Sie aber überzeugt und den Sie für vertrauenswürdig halten?
Es gibt sicherlich psychologische Muster, die sich erkennen lassen und die unbewusst wirken. Je mehr man mit Menschen gemeinsam hat, desto mehr verbindet einen mit ihnen: Wer aus der gleichen Stadt kommt wie Sie, einen ähnlichen sozialen Hintergrund hat, auf der gleichen Schule war, wer Ihnen sympathisch erscheint – das alles mögen psychologische Mechanismen sein, die Betrüger allerdings auch kennen und sich zunutze machen können. Auch von diesen psychologischen Mustern spreche ich nicht.
Ich meine: Wenn Sie nach einer vernünftigen Begründung suchen müssten, welche Begründung würde Ihnen dafür einleuchten, dass jemand vertrauensvoll ist?
Für die Menschen der Bibel lautete die Frage: Welchen Propheten darf man vertrauen? Wer von ihnen ist ehrlich und hat wirklich von Gott einen Auftrag bekommen, und wer tut nur so und macht mit seinen Lügen Geschäfte?
Wir wissen, dass in biblischen Zeiten sehr viele Propheten herumliefen, die den Menschen sehr viele Ratschläge erteilten. Für die Reichen waren die Propheten das, was heute die Unternehmensberater sind: Sie analysierten das Investitionsklima und sagten Unwetter oder gute Ernten voraus. Für Könige und Fürsten waren die Propheten das, was heute die Politikberater und Thinktanks sind. Sie rieten zu Feldzügen oder rieten von ihnen ab, sie evaluierten den Effekt von höheren Abgabenlasten auf das Volk, sie schmeichelten Herrschenden und vergewisserten ihnen ihren Machtanspruch. Und für die kleinen Leute waren diese Propheten manchmal nur so etwas wie die kleinen Betrüger auf Jahrmärkten, die einem aus der Hand lesen und dann irgendeinen Unsinn erzählen, von dem sie merken, dass man ihn gerne glauben möchte.
Es gab nur ganz wenige Propheten, die aus dieser Riege ausscherten. Und diese wenigen Propheten sind heute fast die einzigen, die wir namentlich kennen. Nur ihre Weissagungen und Einschätzungen sind aufgeschrieben und in der Bibel aufbewahrt worden. Alles andere ist in Vergessenheit geraten. Wir wissen von der großen Masse der anderen Propheten nur, weil die Bibel beiläufig von ihnen erzählt – so wie man vom Alltäglichen eben beiläufig erzählt.
Der Grund, warum man die Weissagungen und Lagebeurteilungen dieser seltenen Propheten in die Bibel aufnahm, ist ganz einfach: Sie behielten Recht mit dem, was sie sagten. Alle anderen erwiesen sich als das, was sie waren: Schmeichler, Lügner, Geschäftemacher. Die Propheten, die Recht behielten, sagten dagegen allesamt Unheil voraus. Ihre Warnungen, die man zunächst als Schwarzmalerei verspottet hatte, erwiesen sich leider im Nachhinein als korrekt und angemessen. – Im Nachhinein ist man immer schlauer.
Aber was hätte diese Propheten damals, zu Lebzeiten, glaubwürdig machen können? Womit wiesen sie sich selbst als glaubwürdig aus?
Auch da gibt es etwas, das alle Propheten des Alten Testaments miteinander verbindet. Sie alle berufen sich auf den Gott Zebaoth, auf den Gott, der sich am Berg Sinai offenbart hat. Sie alle wiesen die anderen Götter zurück, die Landwirtschaftsgöttin Astarte und noch heftiger den Stadtgott Baal. Sie ließen nur ihren Wüstengott gelten.
Die Stadt und ihr buntes Treiben galt für sie als verlogen. Auch wenn die Städte damals nach heutigem Maßstab nur kleine Siedlungen waren: In ihnen herrschte Betrug und Übervorteilung. Der Händler frisierte die Waage. Der Dieb tauchte unerkannt in der Menge unter. Die ausgestoßene oder verwitwete Frau musste betteln gehen. Waisenkinder wurden Straßenkinder, bettelten sich durchs Leben und starben jung. Und bestimmt war damals noch alles harmlos im Vergleich zur großen Einsamkeit und dem großen Misstrauen und der eisigen Kälte, die heute in unseren Riesenstädten herrschen.
Das Landleben erschien den Propheten vielleicht nicht ganz so frivol. Aber auch da zählte der eigene Hof, der eigene Besitz viel. Jesus von Nazareth spottete über den reichen Kornbauern, der seine Scheunen gefüllt hatte und sich endlich mit seinem ganzen Reichtum zur Ruhe setzen wollte – und in derselben Nacht noch von Gott abberufen wird. Er stirbt. Sein Reichtum nützt ihm gar nichts.
Fremde Durchreisende wurden auf dem Land beargwöhnt, als wollten sie einen nur bestehlen. Streit zwischen Hoferben konnte in Mord und Totschlag enden. Verunglückte Eheverträge zogen Familienfehden nach sich, manchmal endlose Rachefeldzüge.
Nur das Leben in der Wüste erschien den Propheten rein. In der Wüste lebt man heute noch abgeschieden, zieht mit der Sippe von Weidefläche zu Weidefläche, führt wenig Besitz mit sich. Die Großfamilie hält zusammen. Was gesagt wird, gilt. Die Schwachen werden mit durchgefüttert, ohne dass dies irgendeiner Erwähnung bedürfte. Die Alten ehrt man. Die Fremden bewirtet man drei Tage, ohne sie zu fragen, woher sie kommen und wohin sie gehen. In der Wüste rückt man zusammen, hält sich gegenseitig am Leben, schläft unterm großen Sternenzelt, schweigt viel, spricht keinen überflüssigen Satz.
Mit dem Wüstengott der Propheten verband man das wahre, reine Leben, die Geradlinigkeit, Solidarität und Treue, die den Menschen ursprünglich ausgezeichnet haben soll, bevor er sich seßhaft machte, Grundbesitz anhäufte, seine Gier nicht sättigen konnte und dann zu einem Betrüger mutierte, der das eine sagt aber das andere tut. Die Wüste ist heute noch so etwas wie ein mythischer Sehnsuchtsort.
Wer schon mal dort war, unterm Sternenzelt übernachtet und mit Beduinen am Lagerfeuer gesessen hat, bekommt einen Eindruck davon, warum die Wüste nicht nur ein Ort der Einsamkeit ist, sondern auch der Katharsis, der inneren Reinigung. Für die Wüstenväter war sie ein Ort, an dem man sich mit den inneren Dämonen auseinandersetzte, ihre Macht zu überwinden vermochte, sich in Enthaltsamkeit übte, die leiblichen Bedürfnisse zu beherrschen lernte und die Selbstdisziplin zurückgewann.
Elia, der größte unter den alttestamentlichen Propheten, pilgerte in die Wüste zum Berg Horeb, wo Gott sich ihm offenbarte – der wahre Gott der Wüste; keine habsüchtige Landwirtschaftsgöttin Astarte, kein betrügerischer Stadtgott Baal. Alle späteren Propheten beriefen sich darauf, diesem Gott begegnet zu sein, dem Gott mit der schroffen und rauen Sprache, der keine Umschweife macht, seine Wut nicht hinter Höflichkeitsfloskeln versteckt, der einen einhüllen kann in seinen Frieden und in seine Stille, der aber zürnt und tobt, wenn man seine Gebote missachtet, die Gebote der Wüste.
Der heutige Predigttext ist eine Zornesrede des Propheten Jeremia. Sie richtet sich gegen die falschen Propheten, gegen die Täuscher und Trickser in der Stadt, die den Leuten nach dem Mund reden und ihnen Frieden und Sicherheit versprechen – und die ihnen die bittere Wahrheit darüber, welches Unheil tatsächlich bevorsteht, verschweigen oder unterschlagen oder schönreden. Sie richtet sich gegen die Propheten, die sich immer wieder neue Gags einfallen lassen, und sei es, dass sie ihre wirren nächtlichen Träume als Gottesoffenbarungen verkaufen.
Jeremia wirft diesen Propheten vor, dass sie nie vor dem wahren Gott gestanden hätten, dem Gott, der im Wüstensturm erscheint, der jede menschliche Selbstsicherheit durcheinanderwirbelt, der einen daran erinnert, wie sehr man als ohnmächtiges Individuum auf Solidarität und Mitmenschlichkeit angewiesen ist. Und daran, dass man ohne Solidarität und Mitmenschlichkeit keinen Tag in der Wüste überleben kann.
Seine Zornesrede ist überliefert im 23. Kapitel des Propheten Jeremia, Verse 16 bis 29. Und dieser lange Auszug ist heute der Predigttext, und ich lese ihn Ihnen in seiner ganzen Länge vor:
So spricht der Herr Zebaot: „Hört nicht auf die Worte dieser Propheten! Mit ihrem prophetischen Gerede täuschen sie euch. Sie verkünden euch, was ihnen ihr Herz einflüstert. Nichts davon kommt aus dem Mund des Herrn. Sie beruhigen diejenigen, die mich verachten, und behaupten immer und immer wieder: »Der Herr hat gesprochen: Ihr werdet in Frieden und in Sicherheit leben.« Auch für jeden, der seinem sturen Herzen folgt, haben sie dieselbe Botschaft: »Es wird kein Unheil über euch kommen!« Diese Propheten haben keinen Auftrag von Gott.
Wer von ihnen stand vor dem Herrn? Wer gehört zum Kreis seiner Vertrauten, so dass er sein Wort sehen und hören kann? Wer hat auf sein Wort geachtet?
Wer hat es wirklich gehört?
Seht her: Der Sturmwind bricht los. Die Wut des Herrn wirbelt alles durcheinander und braust über die Köpfe der Frevler hinweg. Der Zorn des Herrn wird nicht aufhören zu wüten, bis er alles vollbracht hat – bis er getan hat, was sich der Herr in seinem Herzen vorgenommen hat.
Wenn es so weit ist, werdet ihr das alles begreifen. Ich habe diese Propheten nicht geschickt, sie aber kommen trotzdem angelaufen. Ich habe nicht zu ihnen gesprochen, sie aber reden trotzdem prophetisch.
Sie standen nicht im Kreis meiner Vertrauten. Sonst könnten sie meinem Volk meine Worte verkünden. Sonst würden sie es auf den rechten Weg zurückbringen und die Leute davon abbringen, Böses zu tun. Gott kennt das Treiben der Propheten ganz genau.
Bin ich nur ein Gott, der den Menschen nahe ist? Oder bin ich nicht auch ein Gott, der fern ist? – So lautet der Ausspruch des Herrn.
Kann sich jemand so gut vor mir verstecken, dass ich ihn nicht sehe? – Ausspruch des Herrn.
Bin nicht ich es, der Himmel und Erde erfüllt? – So lautet der Ausspruch des Herrn.
Ich habe genau gehört, was diese Propheten in meinem Namen verkündet haben. Ihre prophetischen Botschaften sind erlogen, wenn sie behaupten: »Ich hatte einen Traum! Ja, einen prophetischen Traum!« Wie lange soll das noch so gehen? Was wollen sie denn erreichen, wenn sie erlogene Botschaften verkünden, wenn sie das sagen, was ihnen ihr Herz einflüstert? Einer erzählt dem anderen seinen Traum. Wollen sie, dass mein Volk so meinen Namen vergisst?
Genauso haben es schon ihre Vorfahren getan: Sie haben meinen Namen wegen Baal vergessen.
Ein Prophet, der Träume hat, soll Träume erzählen. Wer aber mein Wort hat, soll mein Wort verkünden – in aller Wahrheit! Dann wird sich zeigen, was Stroh und was Getreide ist. – So lautet der Ausspruch des Herrn.
Ist mein Wort nicht wie Feuer? – Ausspruch des Herrn – Ist es nicht wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt?
Soweit der Predigttext. Wem vertrauen Sie? Dem, der ihnen geradeaus die Wahrheit sagt? Oder doch lieber dem, der sein Geschäftsmodell schön zu verpacken vermag und es Ihnen mit vielen Schmeichelein unterjubelt? Die Psychologen sagen: Sie werden dem Schmeichler lieber glauben, als dem, der Ihnen die bittere Wahrheit sagt. Aber tun Sie das wirklich?
Jedenfalls müssen Sie ihnen nicht glauben. Es steht ihnen frei, wach und aufmerksam durch Ihren Alltag zu gehen. Thema des heutigen Sonntags ist unser Auftrag, Gottes Wort zu verkündigen. Dieser Auftrag steht am Anfang der langen Reihe von Trinitatissonntagen, die bis in den November reicht. Was nehmen wir uns für diese Sonntage vor? Dass wir uns Woche für Woche eine kleine Auszeit vom Alltag nehmen. Dass wir uns hier im Gottesdienst eine Stunde zurückbesinnen auf uns selbst, als wären wir an einem ganz abgelegenen Ort, vielleicht in einer Art Wüste. Als könnten wir mit großem Abstand auf unseren Alltag blicken, auf die Dämonen, die uns quälen. Als hätten wir die Kraft, dem fremden, frischen Blick auf uns selbst auszuhalten, uns von uns selbst befremden zu lassen, uns selbst zu hinterfragen. Und als wären wir zugleich offen für die Schönheit, dass wir uns berühren lassen von der ursprünglichen Reinheit, mit der Gott uns in diesen Garten Eden gesetzt hat – und die wir irgendwo noch immer in uns tragen. Amen
Kommentare