06/06/2025 0 Kommentare
Weisheit und Wahrheit
Weisheit und Wahrheit
# Predigt

Weisheit und Wahrheit
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für den heutigen Sonntag lehrt uns zwei Dinge: Erstens, wir sollen bei der Wahrheit bleiben bei allem, was wir tun. Und es gibt Kriterien dafür, was wahr und was falsch ist, denn es gibt Naturgesetze. Und wenn sich wissenschaftlich nachweisen lässt, dass die Dinge nun einmal so sind, wie sie sind, dann muss man sich dazu verhalten.
Es ist merkwürdig, eine solche Selbstverständlichkeit am Anfang einer Predigt auszusprechen. Aber wir befinden uns in einer Zeit, in der genau das in Abrede gestellt wird: Dass wir einen Menschen-gemachten Effekt auf die Klimaerwärmung haben, davor warnen uns seit den 1980er Jahren, spätestens seit den 1990er Jahren eine überwältigende Mehrheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Und trotzdem tun heute noch Leute so, als werde das in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Wird es nicht.
Dass Impfen in aller Regel hilft, auch das ist seit vielen Jahrzehnten hinlänglich bekannt. Während der Corona-Jahre haben wir erlebt, dass die Impfleugner keine große Hilfe waren. Vorsicht ist gut, keine Frage. Aber rundweg zu leugnen, was sich wissenschaftlich beweisen lässt und was vor aller Augen geschieht, das grenzt an Leichtsinn.
Und dass Menschen die Dreistigkeit haben, den Holocaust zu leugnen allen historischen Beweisen und allen noch lebenden Zeitzeugen zum Trotz, sollte für uns alle eine Warnung sein. Vorgestern erst starb die Zeitzeugin Margot Friedländer. Die Unverbesserlichen wissen schon, warum sie an ihrem Unsinn und an ihren Lügenerzählungen festhalten. Dass sie es tun, sollte uns alle alarmieren.
Das Zweite, das uns der Predigttext lehrt, entnehmen wir nicht nur dem Predigttext. Das sagt uns auch die Osterzeit, in der wir uns diesen Predigttext vornehmen: Wir sollen uns Christus zum Maßstab nehmen. Ja, wir sollen uns zu den Dingen verhalten, die sind, wie sie nun einmal sind, und wir sollen uns dabei Christus zum Maßstab nehmen.
Der Predigttext aus Sprüche 8 entstand lange, bevor es experimentelle Naturwissenschaften gab, wie wir sie heute kennen. Aber er geht davon aus, dass der Natur so etwas wie eine Logik innewohnt, eine Logik, die wir mit unserem Verstand nachvollziehen können – die es uns ermöglicht, Gesetzmäßigkeiten zu ermitteln.
Der biblische Text spricht von „Weisheit“. Für uns heute ist Weisheit etwas, das sich in unseren Köpfen abspielt. Aber für den biblischen Autor ist Weisheit so etwas wie Gottes Bauplan für seine Schöpfung. Er lag Gott von Anfang an vor. Menschliche Weisheit ist für ihn nur ein schwacher Abglanz der göttlichen Weisheit. Hören Sie selbst, Sprüche 8,22-36:
Der Herr hat mich, die Weisheit, am Anfang seiner Schöpfung erschaffen. Ich war das erste seiner Werke vor aller Zeit. In längst vergangenen Tagen wurde ich geschaffen, am Anfang der Erde, vor unvorstellbar langer Zeit. Ich wurde geboren, als es noch keine Meere gab und kein Wasser aus den Quellen der Tiefe strömte. Bevor die Berge in der Erde verankert wurden und die Hügel entstanden, kam ich zur Welt. Gott hatte das Land noch nicht geschaffen und auch nichts anderes. Nicht einmal Staub gab es auf der Erde. Ich war dabei, als er das Dach des Himmels baute, als er den Horizont über dem Meer bildete. Ich war dabei, als er die Wolken oben festmachte und die Quellen unten aus der Tiefe sprudeln ließ. Ich war dabei, als er dem Meer eine Grenze setzte und dem Wasser verbot, sie zu überschreiten. Als er dann die Fundamente der Erde legte, stand ich ihm als Handwerkerin zur Seite. Tag für Tag war es für mich eine Freude, die ganze Zeit lachte ich an seiner Seite. Ich war fröhlich, dass es den Erdkreis gab, und hatte meine Freude an den Menschen.
Der biblische Text personifiziert die Weisheit. Die Weisheit ist wie ein göttliches Wesen, das Gott zur Seite steht und bei allem dabei ist. Sie ist Gottes Handwerkerin. Sie ist fröhlich und lacht an seiner Seite. Manche sagen auch: Die Weisheit spielt vor Gott. Mit der Weisheit kehrt eine Leichtigkeit ein, die es ohne Weisheit nicht gäbe. Die Weisheit vermittelt Gottes Wahrheit, die Wahrheit, die allein uns Orientierung und ein gemeinsames Fundament für ein gelingendes Miteinander gibt.
Wenn wir bei der Wahrheit bleiben bei allem, was wir tun, wenn wir uns nicht den Lügen von Politikern und Mächtigen aussetzen müssten, denen wir uns heute ausgesetzt sehen, die einfach frech in die Kamera das Gegenteil von dem behaupten, was wir alle als richtig erkannt haben, dann könnten wir zu der Leichtigkeit zurückkehren, die wir schon einmal hatten. Lüge schafft Verdruss, Wahrhaftigkeit erleichtert den Umgang, schafft Freude, weil wir die Dinge angehen können, die wir angehen müssen, und weil wir Probleme lösen können, statt uns mit Lügnern die Zeit totzuschlagen.
Der Predigttext geht noch weiter. Er sagt, dass die Weisheit sich nicht nur auf die Natur erstreckt, sondern auch auf den guten Umgang der Menschen untereinander. Und er klingt, wenn ich ihn gleich vorlese, vielleicht etwas naiv. Als würden sich alle Probleme lösen, wenn Eltern ihre Kinder nur gut erziehen würden. Ja, eine gute Kinderstube mag wichtig sein, aber Weisheit ist mehr als das. Aber zunächst der zweite Teil des Predigttextes:
Ihr jungen Leute, hört jetzt auf mich! Glücklich zu preisen sind alle, die mir folgen. Hört genau hin, damit ihr klug werdet! Schlagt die Erziehung nicht in den Wind! Glücklich ist der Mensch, der auf mich hört – der Tag für Tag an meiner Haustür wacht und am Türpfosten auf mich wartet. Wer mich findet, hat Leben gefunden, und der Herr hat Gefallen an ihm gefunden. Wer mich aber verfehlt, schadet sich selbst. Alle, die mich hassen, lieben den Tod.
Mit anderen Worten: Wer die Weisheit hasst, liebt das Verderben, liebt den Niedergang, liebt die Zerstörung – aber nicht das gute Leben, nicht das gute Miteinander. Wer die Weisheit hasst, will nicht aufbauen, sondern niederreißen.
Nur: Welche Weisheit hilft uns, das gute Leben zu leben, zum guten Miteinander zu finden? Welche Weisheit hilft uns aufzubauen, statt niederzureißen?
„Im Anfang war das Wort“, so beginnt das Johannesevangelium, „und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. … In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. … Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
Das Johannesevangelium identifiziert die Weisheit mit dem göttlichen Wort, das Menschengestalt annahm, dessen Herrlichkeit Menschen vor 2000 Jahren sahen, von dem sie Zeugnis gaben, ein Zeugnis, das sie an uns weiterreichten. Es ist das Zeugnis von Jesus Christus, das wir in den Tagen vor und nach Ostern gehört haben, von dem, der in sein Eigentum kam, und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Wir haben gehört von dem, der gerecht war, den man wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt hat, von dem Gerechten, den man wie einen Ungerechten verurteilte, sogar hinrichtete, der aber nicht bei den Toten blieb, sondern den Gott auferweckte von den Toten und wieder ins Recht setzte.
Dieser Jesus von Nazareth hat einmal gesagt: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert, wird es gewinnen.“ Ich habe mich lange schwergetan mit diesem Wort, habe es als eine Aufforderung verstanden, sein Leben aufzugeben – als eine Wette, die ich zu riskant fand: Wieso soll ich mein gesichertes Leben aufgeben in der Hoffnung auf irgendetwas, das ich am Ende vielleicht gewinnen könnte – vielleicht aber auch nicht?
Aber mittlerweile habe ich verstanden, dass ich dieses Wort wohl eher als eine Weisheit Jesu verstehen muss, eine Weisheit dessen, der die Mensch gewordene Weisheit Gottes verkörperte, das Fleisch gewordene Wort. Er, der Gott den Bauplan für diese Schöpfung gestellt hat, und er, der sein eigenes Leben nicht geschont hat, sagt mir nun: Wenn du dein Leben retten willst, wenn du alles an dich halten willst, dann wirst du es verlieren. Dann wirst du nicht du sein Du wirst dich auch nicht finden. Du wirst nie verstehen, warum du auf dieser Welt bist und was du hier sollst, und du wirst auch keine Erfüllung finden.
Sieh es ein, das Leben ist anders. Wenn du das Leben finden willst, dann werde ein schenkender, ein gebender Mensch. Wende dich anderen Menschen zu. Wende dich ab von denen, die lügen, weil sie nur ihr Eigenes bewahren und vermehren wollen. Wende dich ab von den Nehmenden, von den Gierigen, von den Raffgierigen.
Wende dich hin zu denen, die dich brauchen. Geh dahin, wo du gebraucht wirst, wo du dich einbringen kannst zum Wohle aller. Da wirst du das Leben finden. Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Er stärke unseren Glauben und mache unsere Hoffnung groß. Amen.
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