05/11/2024 0 Kommentare
Sorge um die Zukunft
Sorge um die Zukunft
# Predigt
Sorge um die Zukunft
Liebe Gemeinde,
übermorgen wählen die Bürgerinnen und Bürger in den USA. Ich weiß gar nicht, ob Sie auch diese Wahl verfolgen. Bei mir weckt die Wahl insofern Erinnerungen, weil vor acht Jahren, als Donald Trump erstmals zur Wahl stand, damals gegen Hillary Clinton, meine Schwester diese Wahl sehr intensiv verfolgte.
Meine Schwester war damals todkrank. Sie starb im September 2016. Sie hat das Wahlergebnis nicht mehr erlebt. Ich meine mich zu erinnern, dass sie die Möglichkeit, dass Trump die Wahl gewinnen könne, von uns in unserer Familie noch am ehesten in Betracht gezogen hat. Alle anderen hatten das nicht für möglich gehalten und wurden dann am ersten Dienstag im November 2016 mit einer völlig überraschenden Meldung aus den USA geweckt: Donald Trump ist Präsident des mächtigsten Landes der Welt.
Da war meine Schwester bereits zwei Monate verstorben.
Es sind die persönlichen Ereignisse, die persönlichen Erlebnisse, die unsere Wahrnehmung des Weltgeschehens wohl tiefer prägen, als das Weltgeschehen selbst. Wo waren Sie an dem Morgen, als dieses Wahlergebnis bekannt wurde? Wie haben Sie es aufgenommen? Wo haben Sie vier Jahre später den unfassbaren Sturm auf das Kapitol erlebt, als Trump abgewählt wurde? Was haben Sie damals gedacht?
Was einen so fuchsig macht an dieser, wie an den vorigen beiden Wahlen, ist doch, dass so vieles auch für uns vom Wahlausgang abhängt, das wir selbst nicht beeinflussen können.
Werden die rechtskonservativen Wählerstimmen wieder vermehrt Zulauf haben? Werden sich die Nationen weiter gegeneinander abschotten, mit Zollgrenzen und Handelskriegen? Werden die Europäer sich von den US-Amerikanern weiter entfremden? Wird das tyrannisch regierte Russland eine Hegemonialmacht über ein Europa, das mehr und mehr den Schutz der USA verliert?
Wie wird das Leben unserer Kinder und Enkelkinder aussehen, wenn jetzt so überlebenswichtige Fragen wie der Umweltschutz, der Kampf gegen die CO2-Emissionen und die Umstellung der Wirtschaft auf Klimaneutralität in den Hintergrund treten – und nur noch der Zwist und die Aggressivität der Völker gegeneinander eine Rolle zu spielen scheint – böse Nachrichten von Radikalisierung, von der Wiederkehr des Nationalismus, von Kriegen?
In diese Unsicherheit hinein spricht der Predigttext für den heutigen Sonntag. Er stellt uns die Aufgabe, darüber nachzudenken, wie politisch unser Glaube ist, wie politisch er sein soll.
Der Predigttext ist ein Abschnitt aus dem Römerbrief des Paulus, und er ist lange im preußischen Obrigkeitsstaat missbraucht worden, um ein autoritäres Adelsregime gegen die Demokratie zu verteidigen. Dabei ist der Abschnitt gar keine allgemeinverbindliche theologische Festlegung, sondern ein Ausschnitt aus einem Brief, geschrieben unter bestimmten Umständen zu einem bestimmten Publikum. Man kann diese Worte nicht aus dem Kontext herauslösen, in dem sie entstanden und für jede Situation sakrosankt verbindlich erklären – wie man auch ganz allgemein Dinge, die in jedem Brief der Welt gesagt werden, nie aus ihrem Kontext herausgelöst werden dürfen. Zwischen Briefeschreiber und Briefeleser herrscht immer eine Art stilles Einverständnis über die Voraussetzungen, unter denen das Gesagte seine Gültigkeit hat. Und deswegen kann ein Brief niemals im vollen Wortsinn eine abstrakte allgemeinphilosophische und universell gültige Abhandlung sein.
Paulus schrieb diese Worte unter dem Eindruck eines Staates, der es zwar den Christen nicht immer einfach gemacht hat, ihren Glauben zu leben, der aber doch im Großen und Ganzen für Frieden und Sicherheit gesorgt hat, auch für Rechtsstaatlichkeit und Verbindlichkeit. Ich lese den Abschnitt aus Römer 13,1-7 vor:
Jeder Mensch soll sich den staatlichen Behörden unterordnen. Denn es gibt keine staatliche Behörde, die nicht von Gott gegeben ist. Auch die jetzt bestehenden sind von Gott eingesetzt. Das heißt: Wer sich gegen die staatliche Ordnung auflehnt, lehnt sich damit gegen die Anordnung Gottes auf. Und wer das tut, wird zu Recht bestraft werden. Wer Gutes tut, hat von den Amtsinhabern nichts zu befürchten. Das hat nur, wer Böses tut. Wenn du die Staatsgewalt nicht fürchten willst, musst du das Gute tun. Dann wirst du sogar Anerkennung bei ihr finden. Denn sie steht im Dienst Gottes, und das kommt dir zugute. Wenn du aber Böses tust, dann fürchte dich. Denn sie trägt das Schwert nicht ohne Grund. Sie steht im Dienst Gottes und vollzieht seine Strafe an dem, der Böses tut. Daher seid ihr verpflichtet, euch unterzuordnen. Nicht nur aus Angst vor Gottes Strafe, sondern auch, weil euer Gewissen das fordert. Deshalb zahlt ihr auch Steuern. Denn es sind ja eigentlich Beamte Gottes, die sie eintreiben müssen. Gebt also jedem, was ihr ihm schuldig seid: Wem Steuern zustehen, dem zahlt Steuern. Wem Zoll zusteht, dem zahlt Zoll. Wem Achtung zusteht, dem erweist Achtung. Und wem Ehre zusteht, dem erweist Ehre.
Paulus spricht von einem Staat, der die Strafe an dem vollzieht, der Böses tut. Er spricht nicht von einem Staat, der Willkür gegen jene walten lässt, die Gutes im Sinn haben.
Ich denke an das vorige Wochenende zurück. Ich denke an die Personenschützer vom LKA Berlin, die Seyran Ates beschützten, die Imamin aus Berliin, die auf der Todesliste der Terrorgruppe Islamischer Staat steht. Ich denke an die Beamten vom LKA Hessen, die unsere Kirche beschützten, als Frau Ates hier war, damit sie auch hier das Wort frei sprechen kann. Diese Polizisten haben das freie Wort gegen jene verteidigt, die Hass und Gewalt säen, die nicht zulassen möchten, dass sich Seyran Ates gegen Zwangsheirat und für die Rechte von Menschen jeglicher sexueller Orientierung ausspricht. Sie haben die freie Meinungsäußerung verteidigt, und das ist ein hohes Gut. Solche staatlichen Behörden – früher sagte man „solche Obrigkeit“ ist von Gott gegeben.
Paulus sprach von der Welt, in der er lebte, wenn er sagte: Es gibt keine staatliche Behörde, die nicht von Gott gegeben ist. Ihm war keine solche staatliche Behörde in seinem Umfeld bekannt.
Etwas anders haben wir es zuvor in der Evangeliumslesung gehört, als Jesus sich zur Frage äußert, ob man dem Kaiser Steuern zahlen solle. Im Palästina zur Zeit Jesu war die Sache nicht so klar, ob das Römische Reich Frieden, Sicherheit und Rechtsverbindlichkeit herstellt, oder ob es Unfrieden stiftet und Willkür walten lässt. Insofern war die Frage der Pharisäer, ob es erlaubt ist, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht, eine Fangfrage.
Hätte sich Jesus zugunsten des Kaisers ausgesprochen, hätte man ihm vor dem Volk als einen denunzieren können, der sich mit den Unterdrückern gemein macht. Hätte sich Jesus gegen den Kaiser ausgesprochen, hätte man ihn als Aufwiegler bei den kaiserlichen Behörden anzeigen können.
Jesus lässt sich die Münze zeigen, auf der das Bild des Kaisers ist. Und Jesus sagt: Alles, was das Bild des Kaisers trägt, solle der Kaiser bekommen. Aber was das Bild Gottes trägt, nämlich du – Mensch -, das steht nur Gott zu, so lautet Jesu weise Antwort. Denn du – Mensch – bist das Ebenbild Gottes. Du – Mensch – sollst dich mit Haut und Haar Gott verschreiben. Das Geld ist egal, das soll der Kaiser ruhig haben, niemals aber deine Seele.
Was, wenn rechtskonservative und autoritäre Parteien sich durchsetzen und die demokratischen Grundrechte außer Kraft setzen? Die Bibel ist da sehr klar: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, sagen die Apostel laut Apostelgeschichte 5,29. „Gib Gott, was Gottes ist“, sagt Jesus: Gib Gott das, was sein Bildnis trägt, sein Ebenbild.
Müssen wir uns nun wegen der unsicheren Zukunft sorgen? Nein. Wir müssen die Sache Gott anbefehlen, sie in seine Hände legen. Egal, was die Wahl am kommenden Dienstag in den USA ergibt: Gott hält die Welt in seiner Hand. Gott hält dich und mich in seiner Hand. Ohne Gottes Willen wird euch kein Haar gekrümmt werden.
Müssen wir uns sorgen, dass unser Glaube nicht ausreichen könnte, um die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen? Nein, müssen wir nicht. Ich folge den weisen Worten Dietrich Bonhoeffer, seinem weisen Bekenntnis zu Gottes Fürsorge: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“
Dürfen wir zuversichtlich auf die kommende Woche schauen, auf die nähere Zukunft, darauf, wie wir uns in der kommenden Welt bewähren? Ja, denn Gott ist es, der „Ja“ zu dir sagt, der dich trägt und erhält, wo immer du gehst und stehst. Der dir durch seinen Heiligen Geist die Worte eingibt, die gesagt werden müssen. Der dir Schutz und Schirm vor allem Bösen ist – und Stärke und Hilfe zu allem Guten, dass du bewahrt wirst im Glauben. Amen.
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