Selbst Anteilnehmende werden

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Selbst Anteilnehmende werden

# Predigt

Selbst Anteilnehmende werden

Liebe Gemeinde, 

wir haben uns heute viel vorgenommen in diesem Gottesdienst: einen Teil Familiengottesdienst, eine Taufe mit einer sehr engagierten kirchlichen Familie, ein Abendmahl, das noch folgt, und ein Abschied für einige Jahre: unsere Gemeindepädagogin erwartet ihr drittes Kind und verabschiedet sich heute in eine dreijährige Erziehungspause. Diesen Abschied nehmen wir zum Schluss auch noch mit. 

Wie bindet der Predigttext für den heutigen Sonntag das alles zusammen? Ganz einfach: Mit dem Stichwort „Liebe“.  

»Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befolgen«, sagt Jesus im Johannesevangelium, Kapitel 14, Vers 15. 

Und da er an der Stelle gerade seine Abschiedsrede von seinen Jüngern hält, sagt er ihnen auch gleich, wie das gehen soll: Jemanden lieben, der gar nicht da ist: 

»Ich werde den Vater um etwas bitten: Er wird euch an meiner Stelle einen anderen Beistand geben, einen, der für immer bei euch bleibt. Das ist der Geist der Wahrheit.«

Wie bleibe ich jemandem verbunden, der sich verabschiedet – natürlich im Geist der Wahrheit, oder besser: der Wahrhaftigkeit. 

Ich finde es großartig, mit welcher Klarheit und Geradlinigkeit unsere Gemeindepädagogin alles geregelt hat für die Zeit ihrer Abwesenheit. Das signalisiert mir: Ihr liegt etwas an uns. Diese Klarheit und Geradlinigkeit ist ein Zeichen großer Verbundenheit, und das ist es ja, was die „Liebe“ von der Jesus spricht, in erster Linie bedeuten soll. 

Aber Jesus sagt noch etwas mehr über diese Liebe, etwas, das sie von dem, was wir im Alltag unter Liebe verstehen, abhebt: »Diese Welt kann den Geist der Wahrheit nicht empfangen, denn sie sieht ihn nicht und erkennt ihn nicht. Aber ihr kennt ihn, denn er ist mit euch verbunden und wird immer mit euch verbunden bleiben.«

Der Geist, den Jesus schickt, ist einer, der mit seiner Person zu tun hat. Es ist einer, den nur diejenigen bekommen können, die diesem Menschen Jesus von Nazareth begegnet sind, entweder leibhaftig oder durch Hörensagen. Und ja, Jesus vom Hörensagen zu kennen, wird etwas anderes, als ihm leibhaftig begegnet zu sein, als mit ihm durch Galiläa gezogen zu sein, als erlebt zu haben, wie geradlinig er seinen Weg geht, wie er sich hingibt für andere, wie er sich überhaupt nicht schont in seiner Solidarität und Hingabe für die Menschen um sich herum – bis er sich schließlich wehrlos töten lässt, und auch dann weicht kein böses Wort von seinen Lippen. 

Gegenüber den Menschen, die diesem Jesus begegnet sind, fühlen wir uns wie Waisenkinder, die ganz ohne die Nestwärme der ersten Jünger im Glauben großwerden sollen. Weshalb Jesus fortfährt: 

»Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein. Ich komme wieder zu euch. Es dauert nur noch kurze Zeit, dann wird diese Welt mich nicht mehr sehen. Aber ihr werdet mich sehen, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet.“«

Wir sind diejenigen, die zwischen diesen beiden Sätzen aus dem Glaubensbekenntnis leben, zwischen „aufgefahren in den Himmel“ und „von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“ leben. Aber dieser Jesus von Nazareth fordert uns auf hinzusehen, zu sehen, was die Welt nicht sieht: Dass Jesus lebt. Dass ihn seine Peiniger eben nicht totkriegen konnte. Die Sache Jesu geht weiter. 

»Wer mich nicht liebt, wird sich nicht nach meinem Wort richten«, fährt Jesus fort, was kein Selbstlob ist im Stile Trumps oder irgendwelcher anderer x-beliebiger selbstverliebter Despoten. Sondern in diesem Fall bekennen wir, dass durch Jesus wirklich etwas sichtbar wird von der absoluten Wirklichkeit Gottes, die unsere Wirklichkeit überstrahlt und ihr einen Glanz verleiht, in dem wir leben können – weshalb der Evangelist Johannes mit der Rede, die er Jesus in den Mund legt, folgendermaßen fortfährt:

»Dabei kommt das Wort, das ihr hört, nicht von mir. Es kommt vom Vater, der mich beauftragt hat. Ich habe euch das gesagt, während ich noch bei euch bin.«

Was ist der Geist der Wahrheit, in dem wir Jesus verbunden bleiben. Nach den Worten des Evangelisten Johannes muss man ihn ungefähr so verstehen: 

»Der Vater – also Gott – wird euch in meinem Namen den Beistand senden: den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe.«

Es ist der Geist Jesu, sein Leben, sein Wirken, seine Verbundenheit mit den Menschen. Sein Interesse, sein inter-esse, also sein Dabeisein, sein Involviertbleiben mit den Menschen um ihn herum. Dass er Anteil nimmt, dass ihn das Leid seines Nächsten etwas angeht, dass er es sich zu Herzen gehen lässt, das ist ja schon mal der erste Schritt, dass Jesus schließlich die Menschen heilen kann. Und es wäre schon eine Menge, wenn der Glanz dieser Wirklichkeit Gottes unser Leben etwas glanzvoller machen könnte: indem wir selbst Anteilnehmende werden. Indem wir selbst uns das Leid des anderen uns etwas angehen lassen – am besten gleich der Menschen, die uns eigentlich am nächsten stehen. 

Die Welt schaut auf Glanz und Erfolg. Der Welt soll ich vormachen, dass ich funktioniere, dass mein Leben schritthalten kann – mindestens mit der heilen Welt der Werbung. Dass ich auf der Erfolgsspur bin. Dass ich mir was leisten kann. Dass meine Familie intakt ist, dass ich intakt bin. 

Aber Jesus schaut auf das Herz. Und wenn ihr Taufeltern, eurer Tochter Marta etwas Gutes mitgeben wollt: Schaut auf ihr Herz. Schaut nicht auf ihre Noten, nicht auf ihre Bewertungen, nicht auf ihren Erfolg. Sondern lasst euch ihr Leid etwas angehen. Seid bei ihr in ihrer Tiefe. Wenn sie in höchsten Glückssphären schwebt, braucht sie euch sowieso nicht. 

»Zum Abschied schenke ich euch Frieden«, so endet diese markante Abschiedsrede des Jesus von Nazareth, die der Evangelist Johannes ihm in den Mund legt – aus gutem Grund in den Mund legt. Denn diese Rede soll widerspiegeln, was für ein Licht der Mensch Jesus von Nazareth in Johannes Dunkelheit gebracht hat. 

»Ich gebe euch meinen Frieden«, lässt er Jesus sagen. »Ich gebe euch nicht den Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und lasst euch nicht entmutigen.« Es ist der innere Frieden, von dem hier die Rede ist. Mit sich im Frieden sein, sagen wir heute, aber genauer müsste man sagen: Mit Gott im Frieden sein. Denn sich selbst belügen und sich mit sich selbst zufrieden zu geben, das kann jeder. Das ist billig. Aber mit Gott im Reinen zu sein, das ist manchmal ein weiter Weg. 

Macht euch auf diesen Weg, lieber Eltern und liebe Patinnen von Marta. Geht diesen Weg gemeinsam mit eurer Tochter, mit eurem Patenkind. Haltet die Augen offen, welche Leitplanken euch dafür mit auf den Weg gegeben sind. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und lasst euch nicht entmutigen, ruft euch Jesus von Nazareth zu. Oder besser noch: Seid mutig und unverzagt. Denn siehe, so sagt er: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt. Amen. 

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