Passionspunkt III: Chiara Seiberth über Eugenie Witzel

Passionspunkt III: Chiara Seiberth über Eugenie Witzel

Passionspunkt III: Chiara Seiberth über Eugenie Witzel

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Passionspunkt III: Chiara Seiberth über Eugenie Witzel

Musik

Anmoderation: 

Herzlich Willkommen zum dritten Passionspunkt in Offenbach. Herzlich Willkommen am Stolperstein für Eugenie Witzel hier vor der Wilhelmstraße 28. Mein Name ist Burkhard Weitz. Ich bin Pfarrer an der Friedenskirche Offenbach. 

Neben mir steht Chiara Seiberth. Sie mitgewirkt bei der Aufarbeitung des Unrechts, das im Kreiserziehungsheim in Mühlheim während der Zeit des Nationalsozialismus geschah. Im Zuge dessen ist sie auf das Schicksal von Eugenie Witzel gestoßen, von dem sie uns heute berichten wird.

Ein besonders großer Dank geht daher an die Geschichtswerkstatt Offenbach, namentlich an Barbara Leissing. Sie war es, die mich auf Eugenie Witzels Schicksal hingewiesen und mir den Kontakt zu Chiara Seiberth vermittelt hat. 

Ein weiterer Dank geht an das Ordnungsamt der Stadt Offenbach, das uns diese drei öffentlichen Gedenkveranstaltungen unkompliziert genehmigt hat.  

Ganz besonders möchte ich Ina Maria Simon danken, die spontan ihre Band Maniya M. vermittelt hat und auch mit großem Elan ihre Band dafür gewinnen konnte, heute für uns zu spielen. Danke, dass ihr da seid! Danke für eure Musik!

Und natürlich Danke an die offene Stadtkirchenarbeit unter Leitung von Dr. Manuela Baumgart, die uns mit ihrer Erfahrung und ihren Kontakten viele Türen öffnet. Chiara Seiberth, Sie haben das Wort:

 

Expertinnenbericht von Chiara Seibert: Eugenie Witzel

Das Schicksal von Eugenie Maria Witzel kam ans Licht, als die Geschichte des Kreiserziehungsheims Mühlheim im Nationalsozialismus aufgearbeitet wurde. Eugenie Witzel wurde am 22. März 1916 in Offenbach am Main geboren. Ab Juli 1933 war sie im besagten Kreiserziehungsheim, wo sie physischem wie psychischem Missbrauch ausgesetzt war. 

Das Kreiserziehungsheim in Mühlheim fungierte als eine Art Auffangstation. Hier wurden Kinder und Jugendliche für nationalsozialistische Euthanasie-Verbrechen selektiert. Sie hatten keine Behinderung, auch nicht Eugenie Witzel. Dennoch erklärte der Heimleiter Pfarrer Hans Hofmann, ein medizinischer Laie, sie zu Menschen mit Behinderung. Mit ideologisch geprägter Haltung diffamierte er Menschen als „minderwertig“, stigmatisierte ihre soziale Herkunft, erklärte sie zur Belastung für den Staat und sah in ihnen eine Bedrohung der (Zitat) „Rasse“ und des (Zitat) „reinen Volkskörpers“. Mit pseudowissenschaftlichen Aussagen zu Vererbbarkeit vergrößerten Nazis wie Hofmann den Kreis der Opfer der „Euthanasie“ und rechtfertigten Maßnahmen gegen Betroffene. Hofmann und seine Angestellten lebten diese Menschenabwertung tagtäglich aus. Heimkinder wurden eingeschüchtert, verprügelt, schikaniert und psychisch niedergemacht.

Pfarrer Hofmann wurde bei der Arbeit im Heim nicht von pädagogischer Hand geleitet. Es ging ihm nicht um Fürsorge, Schutz und Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Nach seiner Überzeugung sollten seine Schutzbefohlenen keine Möglichkeit zur Fortpflanzung haben. Der Ideologie und Sprache der Euthanasie zufolge sollte so die Anzahl der (Zitat) „Asozialen, Verbrecher und Ballastexistenzen“ in der (Zitat) „Volksgemeinschaft“ minimiert werden. 

Das Kreiserziehungsheim hatte die Macht, Kinder und Jugendliche, sterilisieren zu lassen. Hofmanns Anteil an den Euthanasie-Verbrechen waren seine abwertenden und ideologisch gefärbten Stellungnahmen, die von zuständigen Institutionen als Gründe zur Unfruchtbarmachung hinzugezogen wurden. Die Kinder und Jugendlichen erfuhren Stigmatisierung im Kreiserziehungsheim, und auch im weiteren Verlauf des „Euthanasie“-Programmes – und darüber hinaus. 

Eugenie Witzel kam im Juli 1933 mit 17 Jahren ins Kreiserziehungsheim. Zuvor war sie in vier anderen Heimen, in denen sie laut Hofmann allerdings nur mit (Zitat) „negative(m) Erfolg untergebracht“ gewesen sein soll. Sie sei von Heim zu Heim abgeschoben worden. Wie schon den Eltern wurden auch ihrem Bruder Johann und ihren Schwestern eine „erbliche Belastung“ und ein nach Vorstellung der Nazis nicht vertretbarer Lebensstil vorgeworfen. Ihre Geschwister befanden sich ebenfalls in entsprechenden Einrichtungen. 

Eugenie Witzel kam laut Akten erstmals mit drei Jahren in einem Versorgungshaus in Offenbach unter. Dort hieß es, sie würde ihre Geschwister in „sittlicher Beziehung schlecht beeinflussen“. 1931 wurde sie in ein Erziehungsheim nahe Karlsruhe gebracht. Als Grund wurde ihr Benehmen gegenüber Jungen angegeben. Nach Auflösung dieses Heims kam sie in das Versorgungshaus zurück und von dort in das Augustinerhaus Elberfeld. Infolge von Wutanfällen wurde sie in das Kloster „Zum Guten Hirten“ in Koblenz verlegt und kam von dort dann schlussendlich in das Mühlheimer Kreiserziehungsheim. 

In meiner Recherchen stieß ich auf eine Stellungnahme, die der damalige Heimleiter und Pfarrer Hofmann über Eugenie Witzel verfasst hat, um ihre Zwangssterilisierung zu befürworten. 

In Stellungnahmen wie dieser wurden oft Diebstähle oder Klinik- und Anstaltsaufenthalte der Eltern oder Geschwister erwähnt, Familien „Sippen“ genannt und für „geistig minderwertig“ erklärt. Mit Verweis auf Eugenie Witzel schrieb Hofmann auf Anfrage des Erbgesundheitsgerichtes in Offenbach 1934:

„(…), dass Eugenie Witzel ein typischer Fall für die Unfruchtbarmachung ist. Der Vater und die Mutter waren beide in ihrer Jugend Fürsorgezöglinge, bei welchen die angewandten Erziehungsmaßnahmen nach deren späteren Lebensbetätigungen völlig erfolglos waren“.

Weiter schreibt er: 

„Die Mutter führte ein Dirnendasein, der Vater kam wegen Rohheitsdelikten mit der Gesellschaft in Konflikt. Die Kinder aus dieser Ehe, 3, haben alle unter dem Erbteil der Eltern zu leiden und waren schon von frühster Jugend genau wie die Eltern eine finanzielle Belastung für den Staat. (…) Es ist nicht zu glauben, dass solch armseliges, hässliches Mädchen mit schielendem Blick und X-Beinen [sic] in dieser kurzen Zeit sexuellen Anschluss fand. Witzel steckt in einem kümmernden Körper und wird rassisch nach keiner Seite wertbar.“

Was ging dieser Stellungnahme voraus?

Als der Antrag zu ihrer Unfruchtbarmachung gestellt wurde, wohnte Eugenie Witzel bereits im Kreiserziehungsheim. Um das Verfahren einzuleiten, musste jemand eine Anzeige erstatten, laut „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ unter folgenden Voraussetzungen: 

Stimme 2: „Wird einem approbierten Arzt in seiner Berufstätigkeit eine Person bekannt, die an einer Erbkrankheit (§ 1 Abs. 1,2) oder an schwerem Alkoholismus leidet, so hat er dem zuständigen Amtsarzt hierüber nach Vordruck Anlage 3 unverzüglich Anzeige zu erstatten. Die gleiche Verpflichtung haben sonstige Personen, die sich mit der Heilbehandlung, Untersuchung oder Beratung von Kranken befassen. Bei Insassen von Anstalten trifft den Anstaltsleiter die Anzeigepflicht.“

Jede „Krankheit“, die erblich sein könnte, sollte zur Anzeige gebracht werden. 

In Eugenie Witzels Akte fehlt dieses Anzeigeblatt. Es kann somit nicht festgestellt werden, ob der zuständige Arzt, ob Pfarrer Hans Hofmann oder ob eine vorherige Anstalt die Anzeige gestellt hatte. Die letzten vorhanden Anzeigeformulare des Erbgesundheitsgerichts sind auf Juni 1934 datiert. In späteren Akten fehlen sie.

Am 9. November 1934 erstellte ein Medizinalrat und Amtsarzt ein „medizinisches Formgutachten“. Darin wurden sämtliche Personalien und Informationen über Eugenie Witzel, die sich für die Ermittlungen als relevant erwiesen, erhoben. Der Fokus lag vor allem auf der Vorgeschichte und den physischen wie psychischen Befunden. Das Dokument endete mit der Diagnose „angeborener Schwachsinn“. Es bildete die Grundlage für den Antrag auf Unfruchtbarmachung. 

Eine persönliche Anamnese umfasste die „durchgemachten körperlichen Krankheiten“ und „durchgemachten psychische Krankheiten bzw. Auffälligkeiten“. Teilweise wurde auch eine Familienanamnese erstellt. Diese war bei Eugenie Witzel von besonderer Bedeutung, da ihrer Familie eine „Sippenbelastung“ unterstellt wurde. Die Anamnese stützte sich auf Aufenthalte in Kliniken und Vorstrafen der Angehörigen ein. 

Am Tag nach dem Gutachten, am 10. November 1934 stellte der der „Med.-Rat. (Medizinalrat) Amtsarzt“ einen Antrag auf Unfruchtbarmachung. Dabei zog er das von ihm erstellte Gutachten hinzu,[4] in dem er Eugenie Witzel „angeborenen Schwachsinn“ unterstellt hatte. 

Hinzu kam bei Eugenie Witzel ein sogenannter „Intelligenzprüfungsbogen“.[5] Diese Überprüfung sollte zwischen „Schwachsinn im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und „physiologischer Dummheit“ unterscheiden. Diese Bögen wurden willkürlich und ohne jedes wissenschaftliche Fundament vom zuständigen Amtsarzt interpretiert. 

Am 20. November wurde Eugenie Witzel offiziell für nicht geschäftsfähig erklärt. Damit musste ihr Vater als ihr Vormund über das Verfahren informiert werden. 

Zwei weitere externe Stellungnahmen zu Eugenie Witzel wurden hinzugezogen. Dieser Schritt wurde mit „weiteren Ermittlungen“ begründet. Auch in den meisten anderen Fällen wurden bei solchen Anträgen andere Institutionen, Direktoren von Erziehungsanstalten oder Lehrer*innen um ihre Stellungnahmen gebeten. Die Stellungnahmen für das Verfahren zur Unfruchtbarmachung kamen von Menschen ohne medizinisches Wissen. Sie waren willkürlich begründet, z.B. mit „Asozialität“ und deren angeblicher Erblichkeit. 

Warum diese Personen auf diese Weise Stellung bezogen? Vermutlich, um die Betroffenen auszusondern, auch Kinder und Jugendliche aus dem Kreiserziehungsheim. Eine Stellungnahme zu Eugenie Witzel stammt von Pfarrer Hofmann. In seinem Brief vom 21. November schreibt er:  

Stimme 1: „Dem Erbgesundheitsgericht in Offenbach wird (…) berichtet, dass Eugenie Witzel ein typischer Fall für die Unfruchtbarmachung ist.“

Zudem sei sie: „(…) geistig schwächste Hilfsschülerin, sexuell sehr gereizt, völlig unüberlegt in Handlungen und niemals voll arbeitsfähig.“

Am 20. Dezember sprach sich auch das Wohlfahrts- und Jugendamt in Offenbach für eine Unfruchtbarmachung aus. In manchen Fällen wurde zusätzlich ein „fachärztliches Zusatzgutachten“ erstellt. Das ist bei Eugenie Witzel nicht der Fall. 

Am 3. Januar 1935 beschloss das Erbgesundheitsgericht in seiner 1. Verhandlung die Sterilisation.Die Möglichkeit des Einspruchs bzw. der Beschwerde wurde in Eugenie Witzels Fall nicht genutzt.

Am 19. Januar bestätigte der Amtsarzt den Beschluss und sprach den Verzicht auf weitere Rechtsmittel aus. Auch weitere Mitglieder der Familie Witzel sollten für eine mögliche Unfruchtbarmachung überprüft werden. Offiziell rechtskräftig wurde der Beschluss am 21. Januar 1935. Ab diesem Zeitpunkt war „rechtlicher“ Einspruch nicht mehr möglich. Es wurde festgesetzt, dass Eugenie Witzel auch gegen ihren Willen sterilisiert werden konnte. 

Als nächstes musste das Erbgesundheitsgericht eine Klinik finden, die Eugenie Witzel zwangssterilisierte. In den meisten anderen Fällen aus Offenbach und Umgebung, auch in den meisten Fällen des Kreiserziehungsheims, ging der Auftrag an das Stadtkrankenhaus in Offenbach. 

In Eugenie Witzels Fall fragte das Erbgesundheitsgericht am 31. Januar 1935 die Frauenklinik in Mainz für die Unfruchtbarmachung an. Nach postalischem Austausch wurde festgelegt, dass Eugenie Witzel sich im Zeitraum vom 8. bis 21. März in der Klinik einfinden sollte. Dieses Schreiben wurde an die Klinik, an Eugenie Witzel und an das Kreiserziehungsheim gesendet. Das Heim sollte ihre Einlieferung veranlassen. 

Eugenie Witzel fand sich am 19. März 1935 in der Klinik in Mainz ein. Ein Arzt namens Dr. Puppel machte sie am 21. März unfruchtbar. Im ärztlichen Bericht hielt er fest, wie er vorgegangen war. Am 1. April 1935 wurde Eugenie Witzel als „geheilt“ entlassen. Mit den Entlassungspapieren endet die Akte Eugenie Witzels im Landesarchiv Darmstadt. 

Die Meldekarte des Standesamts in Offenbach zeigt, dass Eugenie Witzel nach der Zwangssterilisation wohl viel umzog. Meist blieb sie nur wenige Monate oder Wochen an derselben Adresse gemeldet. 

Am 30. Januar 1941 zog sie nach Berlin Marienfeld, um Zwangsarbeit bei Daimler Benz zu verrichten. Ob sie dort bis Kriegsende blieb, ist nicht mehr nachzuvollziehen. 

Zu ihrem weiteren Leben nach Kriegsende habe ich keine Informationen gefunden. Bekannt ist, dass Opfer der NS-Euthanasie stigmatisiert wurden. Oft blieben sie im Kontakt mit den Täter*innen verbunden. Entschädigungen kamen für diese Opfergruppe erst spät. 

Am 24. Juni 1983 starb Eugenie Witzel 67-jährig in Dortmund.
Erst 2007 ächtete der Bundestag das „Gesetz zur Verhütung erbranken Nachwuchses“.
Pfarrer Hans Hofmann wurde nicht strafrechtlich verfolgt. Er war von 1951 bis zu seinem Tod 1968 Pfarrer in Rumpenheim. 

 

Musik


Theologische Reflexion 

 Das erste Kapitel des Markusevangeliums endet mit einer anrührenden Wundererzählung: „Es kam ein Aussätziger zu Jesus, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich reinigen. Und es jammerte Jesus, und er streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will’s tun; sei rein! Und alsbald wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein.“ 

Die Geschichte geht weiter, ihre eigentliche Pointe liegt in den Versen danach. Jesus will, dass der Geheilte schweigt. Aber er erzählt es weiter. Und Jesus kann sich nicht mehr frei in der Öffentlichkeit bewegen. 

Drei Dinge berühren mich an der kurzen Erzählung: 

Erstens, der Aussatz. Gemeint sind lepröse Geschwüre an den Extremitäten. Lepra, heute ein heilbare Krankheit, galt zu Jesus Zeiten als Unreinheit. Rein und Unrein regeln, was gesellschaftlich erlaubt und was verboten ist, was sozial als angenehm und was als ekelerregend empfunden wird. Ausgegrenzt ist der lepröse Mensch, weil er unrein ist, ekelhaft, nicht weil er ansteckend ist. Die Geschichte handelt davon, dass Jesus keinen Ekel empfindet. 

Sondern, zweitens, der Ausgestoßene jammert Jesus. σπλαγχνισθεὶς ist das griechische Wort. Wörtlich übersetzt heißt das: Es traf ihn in die Eingeweide; in sein Innerstes. Mitgefühl ist eine Reaktion, die bis ins Physische geht. Sie ersetzt ist mächtiger als der Ekel. Mitgefühl ist die eigentlich humane Reaktion auf das Elend des anderen, weil der Mensch sich im anderen wiedererkennt. Der Mensch sagt sich: Was, wenn mir dieses Elend widerfährt? Wer kümmert sich um mich, wenn ich mich jetzt nicht um diesen Menschen kümmere?

Das Dritte: Jesus streckt seine Hand aus. Er zieht sie eben nicht zurück. Er zögert auch nicht. Sondern er reicht sie. Die ausgestreckte Hand ist das Zeichen, dass man in friedlicher Absicht kommt und mit einer Geste eine Brücke von ich zu ich schlägt, von der Heilung ausgeht. 

Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter des ungebremsten technischen Fortschritts, als man glaubte, alle Geheimnisse des Lebens durchdringen zu können. Damals machte sich die Furcht breit, der medizinische Fortschritt hebe den Kampf ums Dasein auf und hindere die natürliche Selektion. Der Mensch müsse gegensteuern, müsse selbst selektieren. Der Mensch müssen das Schwache aussondern und das Starke fördern. 

In England hatte Francis Galton, ein Vetter Charles Darwins, Grundzüge der neuen Lehre entworfen, für die er im Jahr 1883 den Begriff national eugenics prägte. Ziel war, „die angeborenen Eigenschaften einer Rasse zu verbessern und zu höchster Vollkommenheit zu entwickeln.“ 

1891 erschien in Deutschland Wilhelm Schallmayers Buch „Über die drohende körperliche Entartung der Kulturmenschheit“ – und Alfred Ploetz 1895 Buch über „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen“. Ploetz schrieb (S. 207): Hygiene, Medizin und eine Menge von Wohlthätigkeits-Einrichtungen arbeiten alle im Sinne des humanitären und ritterlichen Ideals, dem Schwachen nach Kräften zu helfen. Doch gerathen diese nonselectorischen Schutzmaassregen und alles Verlangen, immer neue zu schaffen, in lebhaftem Widerspruch zu (… den) reinen Forderungen der Rassenhygiene. 

Als gelobtes Land der Eugenik galten die USA. Der Bundesstaat Indiana erließ 1907 ein Gesetz, das die Unfruchtbarmachung von in Anstalten untergebrachten „Gewohnheitsverbrechern, Idioten, Imbezillen und Sexualverbrechern“ aus eugenischen Gründen legalisierte. 15 weitere US-Bundesstaaten zogen nach. In Kalifornien waren bis 1928 über 6.000 Menschen sterilisiert. 

„Eugenik ist die Selbststeuerung der menschlichen Evolution“, lautete das euphorische Motto des Dritten Internationalen Kongresses für Eugenik 1932 in New York.

Am 1. Januar 1934 löste das nationalsozialistische Deutschland die USA in der internationalen eugenischen Szene als „Modellstaat“ ab. An diesem Tag wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erlassen. Dem Gesetz fielen bis 1945 etwa 400.000 Menschen zum Opfer. 

Die Zahl der Sterilisierungen in den USA stieg im Jahresdurchschnitt von fast 700 auf fast 2.700. Bis 1941 waren über 38.000 US-Bürger und Bürgerinnen zwangssterilisiert, auch für damalige Verhältnisse eine erschreckend hohe Zahl. Und dennoch: In Deutschland war die Zahl der Geschädigten, der Zwangssterilisierten mehr als zehnmal so hoch. 

Wie kam es, dass Deutschland ab 1934 selbst die radikalsten Entwürfe der Eugeniker und „Euthanasie“-Propagandisten übertraf und die destruktiven Potentiale der Eugenik derart entfesselt werden konnten?  

Es hatte wohl mit dem totalitären Staat zu tun. Die gesellschaftlichen checks and balancesfunktionierten nicht mehr. Wissenschaftliche Funktionseliten konnten ihre Vorstellungen eines social engineering wie in keinem anderen politischen System umsetzen. Widerspruch fehlte von allen Seiten. Politischer Widerspruch war unmöglich, die Gerichte waren gleichgeschaltet. 

Widerspruch kam nur noch von denen, die man unter den Generalverdacht stellte, sie stünden sowieso dem Fortschritt im Wege: von der katholischen Kirche.  Man denunzierte Religion als mittelalterliche Finsternis, als das Werkzeug böswilliger Dunkelmänner. Man lastete ihr alles Übel der Welt an. Und man machte vermeintlich wissenschaftliche Vernunft zum Religionsersatz. 

War es die Angst, als Gestriger zu gelten, die den damaligen Leiter des Mühlheimer Kreiserziehungsheims Pfarrer Hans Hofmann davon abhielt, theologisch zu denken und den Einspruch zu formulieren, statt sich dem in die Irre gegangenen Zeitgeist anzubiedern?  

Denn die Anfragen an die Eugenetik liegen ja auf der Hand: Wenn der Mensch selbst selektieren muss: Wer selektiert? Wer trifft die Entscheidung? Und wer gibt dieser Person die Macht, das zu tun? 

Und wenn ein Wissenschaftler das Schwache in sich identifizieren würde, das ausgesondert werden soll: Würde er sich auch selbst sterilisieren? 

Ich komme zurück auf die Heilungsgeschichte vom Anfang. Ich lese aus dem Verhalten Jesu heraus, dass Mitgefühl zum Menschsein dazugehört: wahres Mitgefühl überwindet auch sozial normierte Ekelgrenzen. Und ich lese heraus, dass uns als Christinnen und Christen die ausgestreckte Hand geboten ist, die Hand die heilt. Und ich möchte die Argumente der Eugenetiker höre, die das entkräften können. 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete verbleibende Karwoche, ein gesegnetes Osterfest.  

Morgen am Gründonnerstag laden wir ein in die Friedenskirche. Wir erinnern an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Wir erinnern mit einer gewissen Melancholie und Trauer daran in Form eines Gottesdienst. Wir erinnern aber auch mit einem ausgelassenen fröhlichen Fest nach dem Gottesdienst. Denn Jesu letztes Mahl war ein Pessachmahl, und Juden feiern ihr Pessachmahl fröhlich und ausgelassen. Morgen, Gründonnerstag, 18 Uhr in der Friedenskirche Offenbach, Geleitsstraße 104.

Karfreitag vollziehen wir das Leiden Jesu Christi nach. Wir versammeln uns um 15 Uhr in der Kirche zu einer Andacht zur Todesstunde Jesu. 

Ostern feiern wir seine Auferstehung. Wir feiern, dass Gott Jesus Christus erhöht hat. Dass er ihm den Namen gegeben hat, der über allen Namen ist: den Namen des Märtyrers. Und dass sich vor ihm die Knie all derer beugen sollen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. 

Bleibt gesegnet und behütet. Lasst des Herrn Angesicht über euch leuchten, spürt seine Gnade. Und lasst euch mit Frieden beschenken von dem, der sein Angesicht auf euch erhebt. Amen.

Wir hören nun noch Musik von Maniya M., vielen Dank! 

Musik

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