08/08/2024 0 Kommentare
Moment des Glücks
Moment des Glücks
# Predigt
Moment des Glücks
Liebe Gemeinde,
gestern Nachmittag hatten wir hier in der Kirche ein wunderbares Konfirmationsfest. Etwa 400 Menschen waren in der Kirche. Es war 90 Minuten lang von Anfang bis Ende eine große Ruhe und Konzentration im Raum. Die Konfis waren entzückend. Bei der Einsegnung liefen bei manchen Tränen der Rührung. Beim Segenslied hakten sich die Mädchen unter, steckten die Köpfe zusammen und sangen lauthals mit: „Und, bis wir uns wiedersehen, halte Gott uns fest in seiner Hand!“ Nach der Konfirmation, als wir uns draußen fürs Foto versammelten, haben die neuen Konfis das Konfetti auf die Konfirmierten niederregnen lassen; nächstes Jahr stehen sie an dieser Stelle. Unterdessen versammelten sich die Familien im Pfarrgarten. Und als wir uns mit den Konfis dazu gesellten, habe ich in lauter fröhliche Gesichter gesehen.
Es gab unfassbar viel zu tun, um das alles zu ermöglichen, zumal die Spülmaschine in der Küche ausgerechnet gestern ihren Geist aufgab. Ich habe es nicht mitbekommen, aber ich glaube, Sieglinde war die ganze Zeit, als sich alle draußen amüsierten, in der Küche und spülte Gläser.
Der schönste Moment gestern war, als alle weg waren, und nur noch eine kleine Gruppe übrigblieb, die aufräumte. Irgendwann war im Garten alles weggeräumt, Sieglinde stand noch immer in der Küche und spülte. Sie ließ das übrige Geschirr stehen, und wir setzten uns auf die Bank neben dem Garteneingang zum Gemeindehaus. Simon Isser, Lisa Klein und Sieglinde Ebers saßen in der Sonne auf der Bank, Lisas Kinder und ihr Mann gesellten sich dazu, und wir erzählten Geschichten vom Tage – und ich glaube, irgendwie waren wir alle selig.
Momente der Stimmigkeit, Momente der Kongruenz von dem, wie ich mich fühle, und dem, was um mich herum passiert, können Momente des Glücks sein. Kongruenz, das ist Deckungsgleichheit, völlige Übereinstimmung. Manchmal gehen solche Momente mit Erschöpfung einher – man lässt mal locker, freut sich, dass alles geschafft ist, schenkt sich etwas Sekt oder Wasser nach, lässt die Gedanken miteinander schweifen, lacht gemeinsam über Missgeschicke oder auch über schöne Momente, freut sich an kleinen Dingen und genießt den Augenblick. Und so habe ich es empfunden: Wir hatten gestern einen gemeinsamen Moment des Glücks.
Manchmal sind es diese Momente, die über lange Zeit haften bleiben. Wir können einander davon erzählen. Aber es ist schwer, anderen verständlich zu machen, was einen da so mitgenommen hat. Und sicherlich wird auch jede und jeder von uns diesen Augenblick auf der Bank unterschiedlich in Erinnerung haben.
Das Evangelium des heutigen Sonntags erzählt von einer Jüngerberufung. Und ich kann mir den Moment, in dem sich diese Fischer am See Genezareth hinreißen lassen, Jesus von Nazareth zu folgen und alles stehen und liegen zu lassen, nicht anders vorstellen als einen Moment des Glücks, der Kongruenz, der vollständigen Übereinstimmung von innerem und äußerem Erleben.
Das allein ist übrigens noch nicht das Besondere an dieser Jüngerberufung. Besonders ist, dass diese Berufenen nie, ihr ganzes Leben lang nie diesen Schritt bereut haben: den Schritt, alles stehen und liegen zu lassen und Jesus zu folgen. Ich glaube, das unterscheidet Jesus von viele anderen Heilsboten, die Menschen in etwas hineinquatschen.
Predigttext für den heutigen Sonntag ist das Selbstzeugnis von einem, der sich auch von Jesus berufen ließ. Er erzählt nicht direkt von seiner ersten Berufung. Er verrät auch nicht, was ihn überzeugt hat, sich von seinem alten Leben als gesetzestreuer Pharisäer abzukehren und sich der neuen Christusbewegung anzuschließen. Sich von seiner bisherigen Eingebundenheit in das traditionelle Judentum abzuwenden und sich einer neuen jüdischen Bewegung anzuschließen: der Bewegung derer, die dem Christus folgen, dem Messias Jesus von Nazareth. Die Motive für seine Entscheidung verrät er nicht.
Aber am Anfang des zwölften Kapitels im 2. Korinther erwähnt Paulus einen dieser Momente des Glücks. Er beschreibt ihn nicht in aller Ausführlichkeit, wie eine Anekdote, um andere daran teilhaben zu lassen. Er will die Korinther nicht seinen Moment der Verzauberung nachempfinden lassen. Sondern er will sie auf etwas an sich, an seiner Person hinweisen, etwas, das sich einmal verzaubern ließ. Paulus schreibt über sich selbst:
„Ich weiß von einem Menschen, der zu Christus gehört. Der wurde vor vierzehn Jahren bis in den dritten Himmel emporgehoben. Ich weiß nicht, ob er sich dabei in seinem Körper befand. Genauso wenig weiß ich, ob er außerhalb seines Körpers war. Gott allein weiß es!
Ich weiß auch nicht, ob ihm das zusammen mit seinem Körper geschah oder ohne seinen Körper. Das weiß nur Gott allein.
Ich weiß aber, dass er in das Paradies emporgehoben wurde. Dort hörte er unsagbare Worte, die kein Mensch aussprechen darf.
Im Hinblick auf diesen Menschen will ich mich loben. Aber im Hinblick auf mich selbst kann ich nur mit meiner Schwäche angeben.“
Wer bin ich im Augenblick des Glückes?
Bin ich ein anderer?
Und wie verändert mich der Moment des Glücks?
Dieser Moment, von dem Paulus spricht, macht ihn, den Apostel, auf jeden Fall zu einem Beschenkten. Denn Paulus lobt nicht sich selbst, sondern er lobt, was an ihm geschah: Wie er bis in den dritten Himmel emporgehoben wird; wie er nicht mehr weiß, ob mit oder ohne Körper; wie er unsagbare Worte hörte, die kein Mensch aussprechen darf.
Was sich Paulus von diesem Moment aufbewahrt und weitergibt, ist, dass er sich beschenkt fühlt. Alles andere ist für ihn uninteressant: die ganze Mühe, die er sich vorher gemacht hat, um Menschen für Christus zu gewinnen – all das spielt in seiner Erzählung keine Rolle. Mit all dem kann er sich nicht empfehlen.
Er kann nur sagen: Lass du dich auch beschenken. Du musst es geschehen lassen. Manchmal helfen Momente der Erschöpfung, nach einer gemeinsamen Anstrengung, weil du dann passiv wirst, weil ihr alle gemeinsam passiv werdet. Weil ihr dann den Modus des Machens und Gestaltens ausschaltet und durchlässig werdet, aufnahmebereit für das, was um euch geschieht.
Aber im Grunde ist alles da: der Moment der Gottesgegenwart,
in dem du ein hörender Mensch wirst,
ein sehender und aufnahmebereiter Mensch,
einer, der die Kongruenz, die Denkungsgleichheit von dem, was in dir geschieht und was um dich herum passiert, auf sich wirken lassen kann –
dieser Moment kann jederzeit kommen.
Und wenn du mal auf diese Weise lockerlässt, dich dem Moment hingibst, aus Erschöpfung oder, weil dich gerade etwas umwirft und mitnimmt, dann merkst du: Der Moment der Gottesgegenwart, er war die ganze Zeit schon da.
Amen.
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