16/10/2024 0 Kommentare
Inschrift mit Hoffnung
Inschrift mit Hoffnung
# Predigt
Inschrift mit Hoffnung
Liebe Gemeinde,
Wenn Sie anderen erklären sollen, was Ihren Glauben ausmacht, was sagen Sie dann?
Ich vermute, dass es Dinge gibt, die erwartbar sind und vielleicht nicht so interessant auf andere wirken: Dass man im Glauben Sicherheit findet, dass Glaube so etwas wie Zutrauen ins Leben ist: Gottvertrauen eben. Dass der Glaube einem aus der Kindheit vertraut ist und einem ein Stück Heimat bietet. Manchmal mag man sich auch im Glauben von denen unterscheiden wollen, die ungläubig sind, die unreflektiert in den Tag hineinleben, keinen Halt haben, denen es an Orientierung fehlt, und deren ganzes Selbst- und Weltvertrauen in sich zusammenbricht, wenn Dinge mal nicht so funktionieren, wie sie sich das vorgestellt haben.
Und es gibt Dinge unseren Glauben interessant machen für andere, Dinge, an denen sie sich reiben.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist eine Art Bekenntnis des eigenen Glaubens. Es ist der 16. Psalm. Und ich muss Ihnen gleich gestehen, dass ich diesen Psalm über weite Strecken uninteressant finde, nämlich all die Partien, die erwartbar sind. Nur ein Vers sticht heraus, ausgerechnet der Vers, der diesem Psalm dazu verholfen hat, heute Predigttext zu sein.
Der Psalm ist überschrieben mit: Eine Inschrift, von David.
Inschriften können alles Mögliche sein: ein Graffiti auf einer Wand, ein Merk- oder Segensspruch über einer Haustür, eine Widmung auf einem öffentlichen Gebäude. Auch Goethes Graffiti an der Jagdaufseherhütte auf dem Kickelhahn bei Ilmenau, das Gedicht „Über allen Wipfeln ist Ruh, über allen Gipfeln spürest du kaum einen Hauch. Die Vögel schweigen im Walde. Warte nur, balde ruhest du auch“ ist so eine Inschrift, und sie gilt als große Kunst und wird ständig erneuert. Das Gleiche gilt für die Graffiti von Banksy und demnächst vielleicht auch für die Graffiti von Peng, die ab kommenden Freitag im Turm der Friedenskirche zu bewundern sind. Was ich sagen will: Eine Inschrift, das kann alles Mögliche sein.
Der erste Teil dieser Inschrift beschreibt den Glauben als Schutz und Sicherheit. Er lautet: Behüte mich, Gott! Denn bei dir suche ich Zuflucht. Ich sprach zum Herrn: »Du bist mein Herr! Du allein bist mein ganzes Glück.«
Sie merken: Das sind so fromme Aussagen, denen bestimmt die meisten im Raum zustimmen können, mich eingeschlossen, aber die einen noch nicht vom Hocker reißen. Ungläubige würden sagen: Schön für dich, mir geht es anders.
Die Inschrift fährt mit einer Aussage fort, die selbstgerecht klingt. Der Autor grenzt sich von den anderen, von den Ungläubigen ab; er erhebt sich über sie:
Doch über die Scheinheiligen im Land, über sie und die Mächtigen sagte ich: »Nichts gefällt mir an ihrem Tun!« Zahlreich sind ihre Götterbilder, sie umwerben einen anderen Gott. Sie spenden Trankopfer von Blut. Doch ich will so etwas nicht darbringen. Und die Namen der Spender sollen nicht über meine Lippen kommen.
Auch hier denken Sie vielleicht: So würde ich das nicht sagen. Sich über andere zu erheben und geringschätzig über sie zu sprechen, das gehört nicht zu meinem Glauben dazu. Jemand Außenstehendes würden vielleicht sagen: "Hab ich doch immer schon gewusst: Diese Christen bilden sich was auf sich ein; sie halten sich für bessere Menschen."
Ich persönlich sehe das anders. Ich glaube, dass wir Christinnen und Christen uns nicht für die besseren Menschen halten. Sondern dass wir eben ganz genau wissen, dass wir nicht die besseren Menschen sind. Und das bringen wir am Anfang jedes Gottesdienstes vor Gott, wenn wir "Herr, erbarme dich" beten.
Die Inschrift fährt fort, indem sie den Glauben als Zugehörigkeit, als Heimat beschreibt. Dieser Teil der Inschrift veranlasst manche Ausleger dieses Psalms anzunehmen, sein Autor sei ein Levit gewesen, also ein Mitglied jenes Stammes aus Israel, dem einst kein Land per Losverfahren zugewiesen wurde, sondern der Dienst am Tempel. Leviten sind also eine Art Priesterkaste in Israel gewesen, Menschen aus Priesterfamilie, die keinen Landbesitz haben, sondern in unmittelbarer Nähe zum Tempel aufwachsen, denen der Herr sozusagen immer vor Augen steht, nämlich sein Tempel. In der Inschrift heißt es:
Der Herr ist mein Erbteil und bestimmt mein Schicksal. Du bist es, der mein Los festgelegt hat. Mein Los fiel auf ein schönes Land. Ja, ein solches Erbteil gefällt mir gut. Ich preise den Herrn, der mich beraten hat. Selbst in den Nächten denke ich darüber nach. Der Herr steht mir immer vor Augen. Mit ihm an meiner Seite falle ich nicht. Darum ist mein Herz so fröhlich und meine Seele jubelt vor Freude.
Vielleicht können manche von euch, von Ihnen dieses Zeilen nachempfinden, wenn für euch, für Sie die Friedenskirche so eine Heimat ist, in der Sie großgeworden sind. Vielleicht weckt die Friedenskirche – mit ihrem unverwechselbaren Duft, mit den bunten Fenstern, mit der Orgelempore, mit dem Anblick von Rudolf Kochs Symbolik um das Kreuz überm Altar herum – so etwas wie Heimatgefühle, vor allem, wenn Sie mal längere Zeit nicht da waren.
So weit ist der Psalm eher langweilig, finde ich. Das was er sagt, ist nett. Aber es klingt alles so selbstbestätigend, selbstreferentiell. Es ist nett, einmal darüber zu reden. Aber vom Hocker wird es niemanden reißen.
Das eigentlich Interessante kommt erst gegen Ende des Psalms. Es sind die drei Zeilen, die den Glauben als Transzendenzerfahrung beschreiben: dass man das Selbstverständliche überschreitet, die Beengtheit des eigenen Horizonts durchbricht und etwas Ungeheuerliches zu denken und zu hoffen wagt. Und ich meine, das ist es auch, was unseren Glauben für Außenstehende so interessant macht. Die Inschrift fährt fort:
Auch für meinen Leib ist gesorgt. Denn du gibst mich nicht dem Totenreich preis. Du lässt mich das Grab noch nicht sehen.
Können Sie das wirklich für sich sagen: „Auch für meinen Leib ist gesorgt“? – für meinen vergänglichen, von Krankheiten und Schmerzen geplagten Leib, von dem, der irgendwann nicht mehr mitmacht und mich im Stich lässt, selbst wenn ich bis ins hohe Alter mit einem wachen Geist gesegnet bin.
„Denn du gibst mich nicht dem Totenreich preis.“ Dass jemand sich von seinem vergänglichen Leib, der ihn oder sie zunehmend im Stich lässt, nicht zur Verzweiflung treiben lässt, sondern dass diese Person so weit mit sich im Reinen ist, dass sie sagen kann: Ich habe genug gesehen, ich brauche nicht mehr zu sehen, Gott, nimm mich zu dir - das ist es doch eigentlich, was das Gottvertrauen so interessant macht. Der Blick nach vorne bleibt bestehen. Als Christinnen und Christen gibt es immer noch einen nächsten Schritt, die Hoffnung am Ende bei Gott zu sein – und eben nicht ins Nichts abzustürzen.
Glaube ist Gottvertrauen, und zwar ein Gottvertrauen, dass noch im Tod mit Gott rechnet. Insofern zeigt Glaube auch Mut, als Lebensmut, als ein Mut, den nächsten Schritt zu tun, einen Schritt, der das Leben dankbar annimmt, komme, was wolle.
Wie traurig ist es für alle Beteiligten, wenn jemand diesen Lebensmut verliert, wenn jemand kein Zutrauen mehr in das Leben hat, jede Perspektive, jede Initiative fahren lässt. Es ist nichts, worüber ein Mensch sich erheben soll, es ist einfach nur traurig, und man kann diesem Menschen nur wünschen, dass er wieder Licht sieht, Hoffnung hat, Zutrauen ins Leben zurückgewinnt.
Insofern lese ich die letzten Zeilen des Psalms als Dankbarkeit, nicht als Überheblichkeit. Dass jemand Erfüllung im Glauben findet, das ist nichts, was ich mir als mein Verdienst anrechnen kann. Das ist ein Glück und eine Gnade, die ich nur jedem Menschen wünschen kann. Und so endet auch die Inschrift, der 16. Psalm:
Ich gehöre doch zu denen, die dir dienen. Du zeigst mir den Weg zum Leben. Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.
Amen.
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