13/04/2025 0 Kommentare
Hineingesteigert
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# Predigt

Hineingesteigert
Liebe Gemeinde!
Sicherlich kennen einige von Ihnen diese Geschichte von dem österreichisch-amerikanischen Psychotherapeuten und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik. Die Geschichte heißt „Der Hammer“. Sie ist humorvoll. Sie ist eine von den Geschichten, über die wir lachen können. Und das ist ja auch gesund, vor allem, wenn wir gleichzeitig merken: Diese Geschichte erzählt etwas über mich. Sie ist entlarvend. Aber nicht auf eine anklagende Weise, sondern weil sie auf den ersten Blick ein wenig übertrieben erscheint und ich mich darüber amüsiere. Weil ich mich über mich selbst amüsiere. Die Geschichte geht so:
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: „Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht's mir wirklich.“ - Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet. Doch noch bevor er "Guten Tag" sagen kann, schreit ihn unser Mann an: "Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!"
Erkennt sich jemand wieder in dieser Geschichte? Vielleicht schaffe ich den Transfer zu einer selbst erlebten Begebenheit. Und ich erkenne mich im Nachbarn wieder, weil ich es auch schon mal mit einer solchen Type zu tun hatte, mit jemandem, der einen plötzlichen Wutanfall hatte, den ich nicht einordnen konnte. Und jetzt, mit Watzlawicks Geschichte vom Hammer im Hinterkopf, von einem Mann, der einsam an seinen Gedanken laboriert und sich in irgendwelchen Unsinn hineinsteigert, verstehe ich sein sonderbares Verhalten schon viel besser.
Vielleicht schaffe ich aber noch mehr: den Transfer zu mir selbst. Und ich denke an meine eigene Wut auf jemanden, eine Wut, deren Ursache ich – wenn ich ganz ehrlich bin – nie gründlich überprüft habe. Ich habe nie den Menschen, auf den ich wütend bin, um ein klärendes Gespräch gebeten. Ich habe nie versucht, diesen Menschen seine eigene Position schildern zu lassen.
Vielleicht habe ich es nicht getan, weil das Mut kostet: Es kostet Mut, auf diese Person zuzugehen und vielleicht selber Böses zu hören zu bekommen, unangenehme Wahrheiten über meine Person.
Vielleicht habe ich Sorge, verletzt zu werden durch das, was dieser Mensch über mich zu sagen hat. Und nun denke ich, wann immer ich mit meinen Gedanken allein bin, über diesen Menschen nach. Verdachtsmomente steigen in mir auf. Und je ungeheuerlicher mir meine Verdachtsmomente erscheinen, desto schwieriger erscheint mir jeder Versuch, auf diesen Menschen zuzugehen und mir anzuhören, was er zum Thema zu sagen hat.
Vielleicht bin ich auch schon so weit, dass ich mein Urteil über diesen Menschen gesprochen habe. Dass ich das klärende Gespräch sowieso für sinnlos halte.
Warum erzähle ich Ihnen das alles? Weil der Predigttext für den heutigen Sonntag einen Gegenentwurf zu mir und zu meinem Eigensinn zeichnet.
In diesem Gegenentwurf heißt es:
Erstens, dass ich einen Mund habe, um ins Gespräch zu kommen, eine Zunge, um ein wahrhaftiges Aliegen zu artikulieren.
Zweitens, dass ich mir die Zeit gebe, meine wilden Gedanken zur Ruhe kommen zu lasse, dass ich meiner Wut eine Nacht gebe, sich zu legen, dass ich meine Wut überschlafe und mit dem neuen Morgen neuen Mut schöpfe.
Und drittens, dass ich ins Zuhören komme. Dass ich mir wieder Passivität zutraue, Aufnahmebereitschaft, dass ich Selbstkritik zulasse.
Der Predigttext beginnt mit diesen drei Gedanken: ins Gespräch kommen, und zwar mit ausgeschlafenen Gedanken, und dann wach und bereit zuzuhören. Ich lese Worte des Propheten Jesaja vor, 50. Kapitel, Verse 4 bis 9:
Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, damit ich weiß, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.
Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir selbst das Ohr, dass ich höre, wie ein Jünger hört.
Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.
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Zur richtigen Zeit das richtige sagen. Mir das Ohr wecken lassen. Und dann sich gehorsam zeigen – oder besser: gehörsam. Hörend auf das, was man mir zu sagen hat.
Ich liebe Gegenentwürfe zu jeder Form von Unzulänglichkeit; ich liebe praktische Ratgeber, die sich anwenden lassen – aber ich liebe sie vor allem dann, wenn ich selbst nicht bedrängt bin.
In der Kampfsituation, im Streit, wann immer meine Gefühle verletzt sind und ich nur daran denke, mich zu schützen, meine Gefühle zu schützen, mein Selbstwertgefühl nicht brechen zu lassen, fällt es mir ungeheuer schwer, über meinen Schatten zu springen. Eher verschließe ich mich gegen den gutgemeinten Rat, gegen jede Belehrung, gegen oberlehrerhafte Besserwisserei. Dabei kenne ich mich. Ich weiß, wie einfach es ist, sich in den eigenen Zorn hineinzusteigern und selbstgerecht auszuteilen. Ich weiß, wie ungerecht ich selbst sein kann. Manchmal ist es eben unendlich schwer, über den eigenen Schatten zu springen.
Der biblische Gegenentwurf geht weiter. Der Prophet Jesaja sagt:
Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
Spricht der Prophet von sich – rühmt er seine Bereitschaft, sich selbst zu opfern, sich verletzen zu lassen, seine eigenen Gefühle verletzen zu lassen? Rühmt er seine Bereitschaft, die Schmähungen gegen die eigene Person aufzunehmen, unwidersprochen stehen zu lassen? Dann würde ich sagen: Toller Mann, aber doch so weit von mir entfernt. Eine Idealfigur, an die ich nicht heranreichen kann. Ein Übermensch, der mit seiner Überlegenheit auch noch hausieren geht. Und ich fange an, dem Propheten zu misstrauen.
Oder spricht der Prophet von jemand anderem? Rühmt er eine andere Person und ihre Haltung, die er uns als vorbildlich anpreist, als wegweisend? Spricht er hellsichtig von jemandem, der sich eben nicht selbst hervortut, der nicht mit seinem Übermenschentum hausieren geht, sondern einfach nur bereit ist, hinzunehmen, einzustecken, die anderen zu Wort kommen zu lassen, mit ihrer ganzen Wut, ob sie nun berechtigt ist oder nicht?
Wenn das so ist, dann steigt in mir Empathie auf, Mitgefühl. Und ich schaue mich um und frage, wer könnte das sein, von dem der Prophet da spricht. Wer ist so aufopferungsvoll? Wer braucht meine Solidarität, meinen Beistand? Wer weckt da meine Sympathie, meine Anteilnahme?
Der Prophet redet weiter von diesem Menschen – und nehmen wir einmal an, er redet nicht von sich selbst, sondern er fordert mich auf, mich umzuschauen nach jemanden, auf den das zutrifft. Nehmen wir einmal an, er zitiert die Worte des Geschundenen, des Geschmähten und lässt ihn weiterreden und Folgendes sagen:
Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht fest gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie ein Kleid zerfallen, Motten werden sie fressen.
Wer hat dieses Gottvertrauen? Wer hat diese Zuversicht, dass er jede Zurücksetzung, jede Herabsetzung aushält? Wer fühlt sich fest genug, dass er nicht zerbricht?
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Wir feiern heute Palmsonntag. Wir erzählen uns gegenseitig vom Einzug Jesu in Jerusalem. Aber eigentlich meinen wir damit den Einzug Jesu in unsere Herzen.
Wir schauen uns heute um und fragen: Wer ist derjenige, der da kommt?
Wie geht er es an, dass er mir meine Zunge wiedergibt, damit ich wie ein Jünger zu reden lerne, andere respektvoll anzusprechen lerne – nicht, um diese anderen eloquent niederzumachen, nicht, um meine eigenen Fantasien, meine selbst fabrizierte Wut loszuwerden. Sondern um zum Gespräch einzuladen, um das eigene Ohr hinzuhalten und sich selbst anzubieten: Sprich mich an, du, Mitmensch! Lass mich deine Sicht der Dinge wissen, du, den ich so lange schon verachtet habe.
Sprich mich an, Gott, den ich doch so lange für schweigend und wortlos erklärt habe. Lass mich wieder zu einem Hörenden werden. Wecke mich an diesem Morgen, Gott. Wecke mich an jedem Morgen, dass ich auferstehe, aus meiner selbstgewählten Isolation, aus meiner selbstgewählten Verkapselung. Und lass mich deinen Weg mit dir gehen: deinen Weg, selbst Schmähungen zu ertragen. Lass mich deinen Weg zulassen, was auch immer auf mich zukommen mag. Lass mich in deiner Zuversicht wachsen, dass ich fest sein kann, wie ein Kieselstein, dass ich nicht zerbreche, damit ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.
Wecke mich, Gott, alle Morgen, wecke mir selbst das Ohr. Halte dich nicht verborgen, führe mir den Tag empor, dass ich mit Deinem Worte begrüß das neue Licht. Amen.
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