Geht's um deine Seligkeit?

Geht's um deine Seligkeit?

Geht's um deine Seligkeit?

# Predigt

Geht's um deine Seligkeit?

Liebe Gemeinde, 

"wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit", haben wir gerade gesungen. Und vielleicht fällt uns das leichter, wenn wir über etwas lachen können. Deshalb erzähle ich Ihnen vom kleinen Anton, der einen Brief an seine Freundin Lilli schreiben will. Da kommt seine Mutter ins Zimmer. "Na, Anton, was tust du denn da?", fragt sie."Ich schreibe einen Brief an Lilli!", sagt Anton. "Aber Anton“, sagt die Mutter, „du kannst doch noch gar nicht schreiben." "Macht nichts", sagt Anton, "Lilli kann ja auch noch nicht lesen."

Es ist ja schon mal beachtlich, dass der kleine Anton überhaupt weiß, was ein Brief ist. Für alle unter 20-Jährigen: Ein Brief ist eine WhatsApp-Nachricht, die man auf Papier schreibt, in einen Umschlag steckt, ihn mit Adresse und Absender versieht, eine Briefmarke draufklebt und das Ganze in den Briefkasten wirft. 

Eine WhatsApp-Nachricht ist meist nur ein kurzer Gedanke, manchmal nur ein Wort. Ein Brief ist komplizierter. Ich rede die Person im Brief persönlich an: Liebe Lilli! Ich bedanke mich für den Brief, den ich bekommen habe. Oder ich nenne den Anlass des Briefes, vielleicht ist es ja ein Geburtstagsbrief. Oder ich fange an mit etwas, dass ich über die angeschriebene Person gehört habe. 

Das ist der persönliche Briefanfang. Dann schreibe ich, was ich mitteilen wollte. Am Ende richte ich Grüße aus. Und dann kommt auch schon zur Grußformel: „Viele Grüße, dein Anton“. 

Briefe wurden nicht immer so geschrieben. In der Antike steckte man den Brief zum Beispiel nicht in einen adressierten Umschlag. Sondern eine vertraute Person überbrachte ihn. Absender und Adressat standen nicht auf dem Umschlag, sondern am Anfang des antiken Briefs. 

„Petrus, Apostel Jesu Christi“, so beginnt der 1. Petrusbrief, „an die auserwählten Fremdlinge, die in der Zerstreuung leben, in Pontus, Galatien, Kappadozien, der Provinz Asia und Bithynien.“ 

Der 1. Petrusbrief ist also ein Rundbrief, der an viele Gemeinden gleichzeitig adressiert ist. Das ist, wie wenn man heute etwas in einer WhatsApp-Gruppe postet. Man spricht die Gruppe an – und meint niemanden ganz persönlich. 

Predigttext für den heutigen Sonntag sind die Zeilen, die im 1. Petrusbrief auf diese Anrede folgen. Sie sind eine Art Vorrede. Sie enthalten noch nicht die eigentliche Botschaft des Briefes. Es sind aufmunternde freundliche Worte, mit denen der Autor den angeschriebenen Gemeinden Mut zuspricht. Eigentlich eine gute Sache. Es wäre doch schön, wenn jeder Brief so anfinge: Mit aufmunternden, freundlichen Worten. 

Der Autor des 1. Petrusbriefs preist Gott. Er betont: Die Christinnen und Christen in Pontus, Galatien, Kappadozien, der Provinz Asia und Bithynien sollen durch Jesu Auferstehung aufgerichtet und gestärkt werden. Denn wenn Gott Jesus von den Toten auferwecken kann, dann kann er auch die zum Leben erwecken, die ihm auf seinem Weg folgen. 

Er betont: Jesu Auferstehung soll eine Hoffnung in ihnen wecken, die sie durch schwierige Zeiten hindurchträgt. Und diese Hoffnung soll sie tragen, auch Jesus weder zu Lebzeiten kannten noch Zeugen seiner Auferstehung waren. Denn, wie es am Ende des Johannesevangeliums heißt: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Ich lese die Vers 3 bis 9 nach der Übersetzung der revidierten Lutherbibel vor: 

"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereitet ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.

Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, auf dass euer Glaube bewährt und viel kostbarer befunden werde als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus. 

Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit." 

Würden diese Zeilen Sie auch aufrichten? Wäre es für Sie ein Trost, wenn eine Seligkeit auf Sie im Himmel wartet? Sie kennen sicherlich den Spruch von Karl Marx, die Religion sei das Opium des Volkes. Lenin machte später daraus: Opium des Volkes, weil er die Kirche beschuldigte, sie würde dem Volk Opium verabreichen.

Marx zielte auf die Religion selbst, nicht auf die Institution. Und er kritisierte, die Religion betäube uns Gläubigen. Sie mache uns unempfindlich gegen unser irdisches Elend, indem sie uns aufs Jenseits vertröste. Marx traute der Religion aber auch mehr zu als nur das. Vollständig lautet das Zitat. „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ 

Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur. Man kann das auch positiv lesen: In unserem Glauben kommt unsere ganze persönliche, aber auch unsere gesellschaftliche Not zur Sprache. Die Religion verleiht uns eine Sprache für das, was uns bedrückt. Sie hilft uns, uns selbst in unserer Not zu verstehen. Insofern hat die Religion auch für Marx durchaus etwas Emanzipatorisches.  

Die Religion ist das Gemüt einer herzlosen Welt, sagte Marx. Auch das deute ich positiv: Unser Glaube ist eine Art Gegenstück zur durchtechnisierten Welt, in der Menschen wie Nummern behandelt werden, in der sie durch einen zermürbenden Alltag klein und mutlos gemacht werden, in der sie nur etwas wert sind, wenn sie Leistung bringen. Unser Glaube gibt uns unsere Würde zurück. 

Die Religion ist der Geist geistloser Zustände. Spätestens hier lässt sich Marx‘ Kritik an der Religion nicht mehr positiv umdeuten: Ja, der obrigkeitsstaatliche Protestantismus des 19. Jahrhunderts, der den Obrigkeitsstaat rechtfertigte, diente sich als Geist geistloser Zustände an. 

Aber trifft das ernsthaft auf den Protestantismus heute zu? Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass wir uns als Protestanten bewusst sind, dass wir für ein gutes und faires und gerechtes gesellschaftliches Miteinander in der Stadt und im Land eine Mitverantwortung tragen. Ich hoffe, dass wir öffentlich wahrgenommen werden als Menschen, die sich für für Barmherzigkeit und für die Inklusion von Außenseitern in die gesellschaftliche Mitte einsteht.  

Ich hoffe, dass man uns nicht wahrnimmt als eine Club von Insidern, die sich bloß um Kirchenpolitik streiten, um Probleme, die es nicht gäbe, wenn es uns nicht gäbe, sondern als freie und verantwortungsbewusste Menschen, die das Wohl ihrer Mitmenschen, den Frieden in der Stadt und ein offenherziges Miteinander im Blick haben, auch wenn sie in einer immer multikultureller werdenden Stadt zunehmend in die Minderheit geraten. Ich hoffe es, und in jüngster Zeit kommen in mir manchmal Zweifel hoch, dass wir als evangelische Kirche in Offenbach das wirklich überall einlösen. 

Aber auch wenn die Religion nicht mehr der Geist geistloser Zustände ist, bleibt doch eine fundamentale Kritik von Karl Marx: Der christliche Glaube vertröste uns Gläubige aufs Jenseits – statt an einer Problemlösung im Diesseits mitzuwirken. 

Und auch hier kritisiert Marx die protestantische Kirche seiner Zeit, die Kirche des 19. Jahrhunderts, die den kleinen Leuten sagte: „Üb immer Treu und Redlichkeit. Sei gehorsam. Füge dich dem, was dir gesagt wird. Werde in deinem Stande selig. Im Himmel erwartet dich dafür großer Lohn.“ Deswegen ergänzte Marx: Die Religion ist das Opium des Volks. Denn diese Religion wirkte wie ein Beruhigungsmittel in einer beunruhigend ungerechten Welt. 

Marx wünschte sich Arbeiter, die aufbegehren, die die herrschende Klasse in einer Revolution stürzen würden. Doch statt sie zum Protest aufzuwiegeln, stellte die Religion die Arbeiter ruhig, vertröstete sie aufs Jenseits und verabreichte ihnen damit eine Art Schmerzmittel. 

Tatsächlich wollten die Protestanten des 19. Jahrhunderts keine Revolution. Sie hatten gesehen, wie viele Todesopfer die Französische Revolution gefordert hatte: weit mehr als Jahrhunderte der schlimmsten kirchlichen Inquisition. Die Protestanten damals wollten Frieden in der Gesellschaft, Frieden, garantiert durch einen starken Obrigkeitsstaat. 

Das hat sich geändert. Heute wissen wir, dass wir als Christinnen und Christen gesellschaftliche Ungerechtigkeit nicht einfach schulterzuckend hinnehmen sollen. Denn die Bibel vertröstet uns Christenmenschen gar nicht aufs Jenseits. 

In Luthers Übersetzung ist den Empfängern des Petrusbriefes die himmlische Seligkeit in Aussicht gestellt. Das klingt nach privater Zufriedenheit, innerem Glück. Oder es klingt nach einer Vertröstung aufs Jenseits. 

Aber schon die lateinischen Übersetzung stellt ein salus in Aussicht, also „Heil“ – die Heilung von allen Krankheiten, von allem Unfrieden und von aller Unbill. Im griechischen Original ist sogar von σωτηρία, von der Rettung oder Befreiung. 

Rettung wovon? Befreiung wovon? Das Kind in der Ukraine, dass unter dem Beschuss der russischen Invasionsarmee leidet, stellt sich den Frieden als eine Erlösung vor, eine Erlösung von der ständigen Todesgefahr. 

Ein chronisch kranker Mensch stellt sich eine Heilung als die ultimative Erlösung vor; ein sterbenskranker Mensch vielleicht auch den Tod. 

Ein Kind, das mit prügelnden Eltern aufwächst, mag sich ein friedliches Familienleben als Erlösung vorstellen, ein Leben ohne Streit, Geschrei und Schmerzen.  

Auch das Neue Testament redet nie abstrakt von Erlösung. Und Jesus hat niemanden aufs Jenseits vertröstet. Im Gegenteil, die Evangelien erzählen von Menschen, die in der Begegnung mit Jesus Erlösung erfahren. Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen, Betrüger ändern ihr Leben und werden bessere Menschen. 

Welche Ermutigung würden Sie in einen Brief an Ihre Mitchristinnen und -christen schreiben? Bestimmt eine persönliche. Vielleicht würden Sie sie aufmerksam machen auf das, was um sie herum schon alles geschieht: Menschen hören einander zu, lassen andere ihr Leid klagen, nehmen Anteil. Kinder spielen miteinander. Eltern kommen mal raus und mischen sich mit anderen Eltern. Jugendliche reifen heran zu selbstbewussten Erwachsenen. Sie werden hilfsbereit, engagiert und offen für andere. Zugezogene finden Anschluss. Alte stehen einander bei, besuchen einander, wenn sie krank sind; sie hören zu und unterstützen einander, wenn die erwachsenen Kinder Sorgen bereiten.

„Das Reich Gottes ist mitten unter uns“, so hatte Jesus es formuliert. Ja, es ist mitten unter uns, und wir können die Zeichen des anbrechenden Gottesreichs unter uns lesen. Wir können wachsam dafür werden und aus jedem kleinen Anzeichen des anbrechenden Gottesreichs Hoffnung schöpfen. Wir können die Angst und die Sorge von uns abschütteln, dass sich sowieso nichts ändert. Wir dürfen unsere Selbstwirksamkeit spüren. Wir dürfen erleben, dass wir durchaus auch Gutes um uns wachsen sehen. Und selbst wenn wirklich gar nichts mehr geht, dann können wir immer noch guten Glaubens sagen: „Aber nicht mein Wille, lieber Gott, sondern dein Wille geschehe.“ Denn auch dann ist immer noch viel Grund zur Hoffnung, dass Gott uns in Gnade aufnehmen wird. Amen 

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