Auch eine Art Ostern

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Auch eine Art Ostern

# Predigt

Auch eine Art Ostern

Liebe Gemeinde, 

eigentlich – so habe ich es im Theologiestudium gelernt – haben wir als Christenheit nur ein großes Fest: Ostern. Jeder Sonntag ist ein kleines Osterfest. Karfreitag ist die Voraussetzung für Ostern – Ostern lässt sich nur aus dem vorangehenden Leiden Jesu verstehen, und umgekehrt lässt erst Ostern es als sinnvoll erscheinen, im Gekreuzigten den Christus, den Heiland und Retter der Welt zu sehen. Alles, was Ostern und Karfreitag vorausgeht, die Fastenzeit, Palmsonntag, Gründonnerstag und Karfreitag, bereitet eigentlich nur das Osterfest vor.

Die Sonntage, also die jeweils ersten Tage der Woche, sind unsere Feiertage. Nicht, weil wir etwas gegen den Schabbat haben, den siebten Tag der Woche, an dem schon der Schöpfer ruhte. sondern weil wir jeden Sonntag die neue Schöpfung in Jesus Christus feiern. Jeder Sonntagsgottesdienst ist ein kleines Osterfest. 

Sogar der ganze Weihnachtsfestkreis ist dem Osterfest nachgebildet: Die vorbereitende Fastenzeit nennen wir heute Advent. Vier Wochen sind von ihr übrig geblieben; ursprünglich sollten es mal vierzig Tage sein.

Und schließlich sind auch die großen Festtage, die auf Ostern folgen, nichts als Ausführungen des Osterfestes. 

Christus ist auferstanden, das ist die Botschaft, um die sich alles dreht. Er ist wahrhaftig auferstanden. Und erst der Evangelist Lukas lehrt uns, verschiedene Aspekte unseres Glaubens an die Auferstehung Christi zu unterscheiden – und sie auf unterschiedliche Feste zu verteilen: auf Himmelfahrt und Pfingsten. 

Den ersten Aspekt der Auferstehung haben wir in der Osternacht erleben dürfen. „Erleben“, sage ich, das Erlebnis der Osternacht ist, dass Jesus lebt. Er ist nicht mehr bei den Toten. Er ist auferstanden und er ist uns vorangegangen nach Galiläa. Er ist uns vorangegangen an den Ort seines Wirkens. Und wir sollen mit ihm ziehen nach Galiläa und dann durch Galiläa. Wir sollen unser Leben führen als ein Leben mit Jesus Christus, an seiner Seite, als würden wir uns ständig fragen, was sich der frühere Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gefragt hatte: „Was würde Jesus in diesem Moment tun?“

Wir sollen unser Leben aber nicht moralisch überheblich führen, als wüssten wir besser als andere, was Jesus tun würde. Sondern wir sollen uns an Jesu Seite gesellen, an die Seite des Auferstandenen, und uns auch fragen: Als wer begegnen wir diesem Jesus von Nazareth? Vielleicht begegnen wir ihm ja gar nicht so strahlend und schön, wie die Jünger und Apostel, dass wir uns anmaßen, wir hätten die moralische Kraft und Anspannung, ein Leben in der Nachfolge zu führen. Sondern wir stellen kleingläubig fest, dass wir eher so wie die Bettler am Wegesrand sind, die Jesus zurufen: „Herr, erbarme dich meiner. Siehe an mein Elend und vergib mir alle meine Sünde!“ 

Das ist der erste Aspekt von Ostern. Dass wir verstehen: Jesus lebt. Die Sache Jesu geht weiter. Und wir sind mit dem Auferstandenen unterwegs in Galiläa – egal ob hier in Offenbach oder sonstwo. Egal ob als Jünger oder als armselige Bettler. 

Himmelfahrt handelt vom zweiten Aspekt der Auferstehung. Und gestern Abend habe ich von Sigrid Weiß gelernt, warum Lukas diesen Aspekt zeitlich von Ostern absetzt: Weil er uns Zeit geben möchte, alles zu verstehen. Wir brauchen diese Zeit, damit sich alles in uns niedersetzen kann. Der Evangelist Lukas beschreibt es so:

Nach seinem Leiden zeigte sich Jesus immer wieder den Jüngern und bewies ihnen so, dass er lebt“, schreibt der Evangelist Lukas zu Beginn seiner Apostelgeschichte, und weiter: „40 Tage lang erschien er ihnen und sprach zu ihnen über das Reich Gottes. 

Die 40 ist eine wiederkehrende Zahl in der Bibel. 40 Jahre der Entbehrung muss das biblische Volk Israel nach seinem Auszug in die Freiheit bestehen, 40 Jahre in der Wüste. Dann erst darf es in das Land ziehen, in dem Milch und Honig fließt. 40 Tage und Nächte läuft Elia vom Bach Krit bis zum Gottesberg Horeb, nachdem Gott ihn mit Speise und Wasser gestärkt hat. 40 Tage ist Jesus in der Wüste dem Satan ausgesetzt und widersteht allen Versuchungen. 40 Tage sollen wir uns auf Ostern vorbereiten. 40 Tage brauchen wir, bis die Erkenntnis in uns sackt, dass Jesus auferstanden ist. Er ist wahrhaftig auferstanden. 

40 Tage, das ist für die Jünger Jesu, die den Auferstandenen gesehen haben, die Zeit der Fülle. Wie sieht die Zeit der Fülle aus? Lukas beschreibt sie so:  

Als Jesus wieder einmal bei den Aposteln war und mit ihnen aß, schärfte er ihnen ein: »Verlasst Jerusalem nicht! Wartet darauf, dass in Erfüllung geht, was der Vater versprochen hat. Ihr habt es ja schon von mir gehört: Johannes hat mit Wasser getauft. Aber ihr werdet in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden.«

Erstens: Jesus isst mit seinen Jüngern. Beim gemeinsamen Mahl ist er seinen Jüngern gegenwärtig. 

Zweitens: Die Jünger heißen jetzt „Apostel“ – auf Deutsch: Ausgesandte. Sie sind ausgesandt, die Botschaft Jesu zu bezeugen. 

Drittens: Die Jünger sollen Jerusalem nicht verlassen. Noch sind sie am Ort der Auferstehung. Mit dem Auferstandenen durch Galiläa zu ziehen, Galiläa oder Offenbach, das ist hier austauschbar, mit Jesus also durch den Alltag zu ziehen, das steht ihnen noch bevor.

Viertens: Jesus verheißt die Taufe mit dem Heiligen Geist, nicht nur mit dem Wasser, mit dem Johannes der Täufer getauft hatte. 

Kommenden Sonntag werden wir die 13-jährige Mina Reubig taufen, und am Sonntag darauf die kleine Sophie Reber. Wir werden wieder und wieder mit dem Sakrament der Taufe bezeugen, dass Gott den Geist der Wahrheit, der Kraft und der Besonnenheit in die Welt setzt, immer wieder, und dass wir an ihm festhalten, am Geist der Wahrheit, der Kraft und Besonnenheit. Gerade heute, wo so viel Lüge, so viel Charakterschwäche und Anstandslosigkeit und so viel Unvernunft die Runde macht, haben wir diesen Geist Gottes so bitter nötig. 

Da fragten ihn die Versammelten: »Herr, wirst du dann die Herrschaft Gottes in Israel wieder aufrichten?«

Jesus antwortete: »Ihr braucht die Zeiten und Fristen nicht zu kennen. Mein Vater allein hat sie in seiner Vollmacht festgelegt. Aber wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, werdet ihr Kraft empfangen. Dann werdet ihr meine Zeugen sein – in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Erde.«

Die Zeit der Fülle, das ist nicht dasselbe wie das Reich Gottes. Wir werden noch eine Weile mit aller Unbill dieser Welt leben müssen: mit Zank, Streit und Krieg, Bosheit und Gewalt, mit Hinterlist und Niedertracht. 

Zeit der Fülle, das ist die Zeit der Gewissheit, dass Gottes Reich kommt – auch wenn die Jünger und Apostel nicht die Zeiten noch die Fristen wissen.

Christi Himmelfahrt erzählt, wie diese Zeit der Fülle, diese Zeit der Gewissheit zuende geht. Es geschieht sehr abrupt. Lukas erzählt – anders als der Evangelist Matthäus – nichts davon, dass Jesus mit seinen Jüngern auf einen Berg geht, wo er seine Abschiedsworte sagt und dann gen Himmel fährt. Sondern der Auferstandene ist plötzlich weg. Gerade hat er noch mit seinen Jüngern geredet, und plötzlich, ganz unvermittelt, ist er nicht mehr da. Lukas erzählt es so:

Nach diesen Worten wurde er vor ihren Augen emporgehoben. Eine Wolke nahm ihn auf, und er verschwand. Die Apostel starrten wie gebannt zum Himmel und schauten ihm nach. 

Die Zeit der Fülle ist vorbei. Und plötzlich stehen die Jünger da und starren zum Himmel. 

Da standen plötzlich zwei weiß gekleidete Männer bei ihnen. Die sagten: »Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen – genauso wie ihr ihn habt in den Himmel gehen sehen.«

Was schaut ihr zum Himmel? Schaut auf die Erde. Hier ist euer Betätigungsfeld. 

Das ist der zweite Aspekt von Ostern, dem wir uns heute widmen. Schaut nicht verklärten Blickes ins Jenseits. Denn wenn ihr das tut, dann habt ihr die Auferstehung nicht verstanden. Sondern wendet euch als Verwandelte wieder dem Alltag zu. Verlasst die heilige Stadt Jerusalem, mischt euch unters Volk in Galiläa. Unser Galiläa heißt Offenbach. Die Zeit der Fülle mag vorbei sein. Die Zeit der satten Erkenntnis, des Beglückt- und Seligseins. Der Alltag hat uns wieder. Und wir umarmen den Alltag, weil wir etwas mitnehmen dürfen – gleich, wenn wir uns nach dem Gottesdienst auf den Weg durch den Frankfurter Wald zum Goetheturm machen, und später, auf wenn wir wieder zum Abendbrot heimkehren (oder was wir auch immer vorhaben). Weil wir etwas mitnehmen dürfen von der Fülle des Osterfestes. 

Amen

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