Juhu!

Juhu!

Juhu!

# Predigt

Juhu!

Liebe Gemeinde, 

wann singen Sie? Ich vermute, wenn es Ihnen gut geht. Wenn Sie leicht und beschwingt sind. Oder wenn Sie unter der Dusche stehen, wenn es im Bad so herrlich hallt und Sie sich an Ihrer vollklingenden Stimme erfreuen können – und dabei glauben, dass Sie niemand hört. Aber auch dann geht es Ihnen ja gut. 

Oder haben Sie schon einmal gesungen, 

  • wenn der immergleiche Gedanke Sie quält, 
  • die Scham über ein Missgeschick in Ihnen aufsteigt,
  • oder wenn Sie ein inneres Streitgespräch mit einem Kollegen führen, der Ihnen neulich übel zugespielt hat? 

Ich kann es mir kaum vorstellen. Wir singen, wenn die Spannung von uns abfällt, wenn wir erleichtert sind, wenn wir Luft bekommen und der Atem frei strömt.

So ist es auch in der Bibel. Das Volk Israel singt, als es knapp der Armee der anstürmenden Ägypter entkommen ist. Eben noch saß das Volk in der Falle am Strand eines unüberwindlichen Meeres. Doch dann zog sich das Meer zurück, das Volk setzte trockenen Fußes zur anderen Seite über. Und als der Pharao mit Ross und Reiter hinterherstürmte, kam das Meer zurück und ertränkte die Verfolger. Erleichtert singt das Volk: 

„Ich will dem Herrn singen,
denn er ist hoch erhaben:
Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt.
Der Herr ist meine Stärke und mein Lobgesang
und ist mein Heil.
Das ist mein Gott, ich will ihn preisen,
er ist meines Vaters Gott,
ich will ihn erheben.“ 

Auch die alte Hanna, die Frau des Elkana kann erleichtert singen. Nach Jahren, in denen sie keine Kinder bekommen konnte und dem Spott der anderen Frauen ausgesetzt wurde, war sie endlich schwanger. Und in ihrer Erleichterung singt sie ein Lied: 

„Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn.
Es ist niemand heilig wie der Herr,
außer dir ist keiner,
und ist kein Fels wie unser Gott ist.“ 

In ihrem Lied spottet Hanna über diejenigen, die ihr all die Jahre wegen ihrer Unfruchtbarkeit zugesetzt haben. 

„Der Bogen der Starken ist zerbrochen,
und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
Die da satt waren, müssen um ihr Brot dienen,
und die Hunger litten, hungert nicht mehr.“ 

Auch im Neuen Testament singen die Menschen aus Erleichterung. Maria singt ihr Magnificat, als sie erfährt, dass sie den Heiland der Welt gebären werde: 

„Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freuet sich meines Heilandes.
Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Völker.“ 

Marias Lied erinnert sehr an das Lied der Hannah. - Der Priester Zacharias singt das Benediktus, als sein Sohn Johannes, der spätere Johannes der Täufer, zur Welt gekommen ist: 

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!
Denn er hat besucht und erlöst sein Volk.“  

Und der alte Simeon fängt an zu singen, als er im Tempel das Jesuskind erblickt: 

„Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren,
wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“

Der Predigttext aus dem 15. Kapitel der Offenbarung des Johannes erzählt ebenfalls von einem Lied der Erleichterung. Der Seher Johannes sieht in einem Traumgesicht die christlichen Märtyrer, die der römische Staat foltern und töten ließ, die sich aber nicht von ihrem Glauben abbringen ließen, die mit ihrem starken Willen über ihre Verfolger triumphierten und siegten. Ich lese aus der Offenbarung 15 die Verse 2 bis 4: 

Ich sah etwas wie ein gläsernes Meer, das mit Feuer vermischt war. Und ich sah alle, die den Sieg errungen haben. Sie haben sich befreit von der Macht des Tieres und seines Standbildes – und ebenso von der Macht der Zahl, die sein Name ergibt. Sie standen am gläsernen Meer und hatten Leiern Gottes. Sie sangen das Lied des Mose, der ein Diener Gottes war, und das Lied des Lammes: 

»Groß und wunderbar sind deine Werke,
Herr, Gott, Allmächtiger. 
Voller Gerechtigkeit und Wahrheit sind deine Wege, 
du König über die Völker. 
Wer wird vor dir, Herr, keine Ehrfurcht haben 
und deinen Namen nicht preisen?
Denn du allein bist heilig! 
Alle Völker werden kommen und sich vor dir niederwerfen, 
denn deine gerechten Taten sind offenbar geworden.« 

Soweit der Predigttext. Die Märtyrer singen erleichtert. Die Qual ist vorbei, der Triumph über die Verfolger ist errungen. Sie sind nun von der Macht des Tieres, des römischen Staates und seiner grausamen Behörden, befreit. 

Was mir auffällt bei all diesen Liedern ist, dass sie doch einigermaßen inhaltslos sind. Sie preisen Gott, sie preisen Gottes Stärke, rühmen seine Wundertaten. Und anhand der gerühmten Wundertaten lassen sie sich mehr oder weniger gut einem Anlass zuordnen. Nur beim Lied der Kinder Israels, die der Streitmacht des Pharao entkommen waren, hört man noch heraus: 

„Ross und Reiter warf er ins Meer.“ 

Aber alle anderen Loblieder, auch dieses Loblied der Märtyrer, hätte auch jeder andere singen können: 

»Groß und wunderbar sind deine Werke,
Herr, Gott, Allmächtiger. 
Voller Gerechtigkeit und Wahrheit sind deine Wege, 
du König über die Völker. 
Wer wird vor dir, Herr, keine Ehrfurcht haben 
und deinen Namen nicht preisen?
Denn du allein bist heilig! 
Alle Völker werden kommen und sich vor dir niederwerfen, 
denn deine gerechten Taten sind offenbar geworden.« 

Warum sind Loblieder so inhaltsfrei? Die Antwort ist ganz einfach: Loblieder erzählen nichts. Sondern sie sind Ausdruck des Dankes, Ausdruck einer Grundhaltung, die sich im Moment der Befreiung, im Moment der Erleichterung Bahn bricht. 

Momente der Befreiung, Momente der Erleichterung sind die seltenen Glücksmomente, in denen sich unsere Ich-Sorge, unser Kreisen um uns selbst, in Luft auflöst, in denen wir für andere offen und zugänglich wirken, vielleicht auch verletzlich, in denen wir uns verschenken können und in denen wir alles, was wir sind und haben, Gott zuschreiben können. Es sind die seltenen Momente, in denen sich unsere innere Verkrampfung löst, in denen wir loslassen und teilen können, woran wir sonst klammern. Und das macht Loblieder zu einem Ausdruck einer Ergebenheit in die Gnade.

Momente der Erleichterung sind die seltenen Momente echten Glaubens, echten Gottvertrauens. Und dann überkommt es viele uns, und wir richten uns befreit auf und singen. 

Und so, wie der Moment der Erleichterung das Lied in uns abrufen kann, so kann auch umgekehrt das Lied auf uns zurückwirken. Es ist eine Art Rückkopplungseffekt. Wir assoziieren aus unserer Erfahrung ein bestimmtes Lied mit einer bestimmten Gestimmtheit. Und wenn wir das Lied später in einer anderen Situation singen, ruft es diese Gestimmtheit wieder auf. 

Es ist Ihnen vielleicht schon einmal passiert, dass Sie ein Lied sangen und plötzlich Rotz und Wasser heulen mussten – nicht aus Trauer, sondern vor Rührung. Sie wussten nicht warum, aber irgendetwas hat dieses Lied in Ihnen hervorgerufen. 

Oder ein Lied hat Sie beschwingt, und es ließ sie den ganzen Tag nicht mehr los. Ein Ohrwurm, den Sie heiter vor sich herträllern, bis Ihnen jemand entnervt sagt: „Lass das Gesumme mal sein, ich kann es nicht mehr hören.“ Aber das stört Sie überhaupt nicht, Sie sind ja gut gelaunt.  

Und deswegen singen wir heute, am Sonntag Kantate – um in uns diesen Moment der Befreiung wieder wachzurufen, diesen kleinen Ostermoment, den viele von Ihnen bestimmt schon einmal erlebt haben. Wir singen: 

Du meine Seele, singe, wohlauf und singe schön 
dem, welchem alle Dinge zu Dienst und Willen stehn. 
Ich will den Herren droben hier preisen auf der Erd; 
ich will ihn herzlich loben, solang ich leben werd. 

Und wir singen: 

Er ist erstanden, Halleluja!
Freut euch und singet, Halleluja!
Denn unser Heiland hat triumphiert,
All' seine Feind' gefangen er führt.

Und gleich singen wir: 

Ich sing dir mein Lied, / in ihm klingt mein Leben. 
Die Töne, den Klang / hast du mir gegeben
von Wachsen und Werden, / von Himmel und Erde, 
du Quelle des Lebens, / dir sing ich mein Lied.

Und ich wünsche Ihnen, dass jedes dieser Lieder in Ihnen ein kleines Osterfest wachküsst. Amen

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