Wenn Gott erniedrigt und tötet...

Wenn Gott erniedrigt und tötet...

Wenn Gott erniedrigt und tötet...

# Predigt

Wenn Gott erniedrigt und tötet...

Liebe Gemeinde,

Ostern feiern wir den Sieg des Lebens über den Tod, hat Janina Wong vorhin gesagt. Aber wie sieht das aus? Eine ganze Reihe Auferstehungsgeschichten versuchen uns das begreiflich zu machen. Ausgerechnet eine etwas schwierige Ostergeschichte ist das Evangelium für den heutigen Sonntag. 

Die Frauen kommen zum Grab. Sie sehen, dass der Stein zur Seite gewälzt ist; das Grab ist leer. Im Grab sitzt stattdessen ein Engel. Er schickt die Frauen nach Galiläa, damit sie die anderen Jünger informieren. Doch die Frauen fliehen von dem Grab. Statt der österlichen Freude, ergreift sie Zittern und Entsetzen. 

Und statt allen freudig die Auferstehung zu verkünden, sagen sie niemandem etwas; denn sie fürchteten sich. Es ist ein merkwürdiges Ende für eine Ostergeschichte. Alles endet mit Zittern und Entsetzen statt mit österlicher Freude. Dem Auftrag, die Auferstehung freudig zu verkünden, kommen die Frauen nicht nach; stattdessen fallen sie in furchtsames Schweigen.

So kann man eigentlich kein Evangelium enden lassen. Dieser ursprüngliche Markusschluss, so scheint es, ist alles andere als ein geeigneter Schluss für ein Evangelium. 

Aber ist er das wirklich? Muss es Ostern immer fröhlich und harmonisch zugehen? Oder handelt Ostern nicht auch von den Brüchen, von der Zerstörung, dem Versagen und der Schuld, die Ostern an Karfreitag vorausgehen?

Der Predigttext für den heutigen Ostersonntag ist ein Loblied. Er ist das Loblied der Hanna, nachdem sie ihren Sohn Samuel in den Tempel nach Silo gebracht hat. Die Vorgeschichte zu diesem Lied geht so: Hanna ist eine von zwei Frauen des altisraelitischen Mannes Elkana. Seine andere Frau heißt Peninna. Peninna hat mehrere Kinder, und immer, wenn Elkana mit seinen Frauen nach Silo hinaufzieht, macht sich die kinderreiche Peninna über die kinderlose Hanna lustig. Hanna leidet verständlicherweise sehr darunter. 

Nun muss man wissen, dass im Altertum die Kinderlosigkeit für die Frauen verheerend war. Frauen ohne Kinder hatten keine Altersversicherung, wenn ihr Mann starb. Sie hatten niemanden, der sie zu sich nehmen würde, der für sie sorgen würde, der sie vor Übergriffen schützen würde. 

Einmal, als Elkana mit seinen beiden Frauen wieder in Silo ist, um dort im Tempel dem Herrn zu opfern, stellt sich Hanna vor den Eingang zum Tempel und betet zu Gott. Hanna bittet Gott um ein Kind. Sie verspricht, dass sie ihr Kind dem Herrn übergeben würde, dass sie ihr Kind im Tempel aufwachsen lassen würde. 

Und so kommt es. Hanna wird aufs Alter tatsächlich noch schwanger. Sie bekommt einen Sohn, Samuel. Und als sie ihn entwöhnt hat, bringt sie den Knaben in den Tempel nach Silo, um ihn dort dem Priester zu übergeben. Auch als Kind des Tempels behält der Knabe seine Verantwortung für seine Mutter. Hanna ist nun abgesichert – und sie ist erleichtert. 

Als Hanna ihren Sohn an den Priester übergeben hat, singt sie ein Loblied auf Gott. Und darin geht es ziemlich österlich zu: Der Starke wird gebrochen, der Schwache bekommt neue Kraft. Die Satten hungern und die Hungrigen werden satt. Die Unfruchtbare hat Kinder und die Kinderreiche wird unfruchtbar. Und schließlich heißt es sogar: Der Herr tötet und macht lebendig. Er führt ins Totenreich und wieder heraus. Hören Sie selbst. Ich lese aus 1. Samuel 2,1-8a. Da singt Hanna:

Mein Herz ist voll Freude über den Herrn.
Der Herr hat mich wieder stark gemacht.

Mein Mund lacht über meine Feinde.
Denn ich freue mich über deine Hilfe.

Keiner ist so heilig wie der Herr,
denn es gibt keinen Gott außer dir.
Kein Fels steht so fest wie unser Gott.

Redet nicht so viel und hoch daher!
Kein freches Wort komme aus eurem Mund.

Denn der Herr ist ein Gott, der alles weiß.
Schändliche Taten duldet er nicht.

Der Bogen der Starken wird zerbrochen,
die Schwachen aber bekommen neue Kraft. 

Die Satten müssen sich ihr Brot verdienen,
die Hungrigen aber sind den Hunger los.

Die Unfruchtbare bringt sieben Kinder zur Welt,
doch das Glück der Kinderreichen schwindet.

Der Herr tötet und macht lebendig,
er führt ins Totenreich und wieder heraus.

Der Herr macht arm und macht reich.
Er drückt nieder und richtet wieder auf.

Den Geringen zieht er aus dem Staub,
den Armen holt er aus dem Dreck.

Seinen Platz gibt er ihm bei den Fürsten
und lässt ihn mit Würde auf einem Thron sitzen.

So weit der Predigttext. Hannas Gefühle schlagen aus, ihre Gefühle schwanken von einem Extrem zum anderen. 

Es geht hier nicht darum, dass Hanna sich den sozialen Ausgleich zwischen Arm und Reich herbeisehnt. Sie will nicht Schwach und Stark auf halber Höhe zusammenbringen. Sie will nicht Satte und Hungrige fair teilen lassen. Hanna geht es nicht um ausgleichende Gerechtigkeit, bei der die Armen reich und die Reichen arm oder die Erniedrigten erhöht und die Hohen erniedrigt würden. 

Sondern in Hannas Lied treffen Glück und Unglück abwechselnd ein und dieselbe Person. Erst macht der Herr jemanden arm, und in der Armut macht er ihn wieder reich. Erst drückt Gott einen Menschen nieder, und in der Niedergeschlagenheit richtet er denselben Menschen wieder auf. Den Geringen zieht der Herr aus dem Staub. Den Armen holt er aus dem Dreck. 

Gott will immer das Leben, das unterstellt das Lied der Hanna - sogar, wenn Gott erniedrigt und tötet. Denn dann schafft er in uns Raum für Neues. Den Neuanfang Ostern können wir nur feiern, wenn wir auch den Karfreitag feiern. Jeder wirkliche Neubeginn setzt das Ende alter Maßstäbe voraus. Erst aus der Gottferne heraus kann stabiles Zutrauen wachsen. Das gilt für Hanna, es gilt ebenso für uns heute.

Martin Luther erklärte das auf seine drastische Weise so: "Wenn Gott lebendig macht, tut er das durch Töten, wenn er rechtfertigt, tut er das durch Schuldigmachen, wenn er in den Himmel bringt, tut er das dadurch, dass er zur Hölle führt.“

Erst, wo die Selbstgerechtigkeit endet, hat wahre Gerechtigkeit eine Chance.
Erst, wo die Selbstsicherheit erschüttert ist, kann wahre Sicherheit zu wachsen beginnen, äußere wie innere Sicherheit.
Erst, wo das Überlegenheitsgefühl schwindet, wird der Mensch überhaupt zugänglich für das, was die anderen zu sagen haben, was sie mitzuteilen haben. 

So ließe sich jeder Neuanfang im Leben durchbuchstabieren. Und deshalb feiern wir Ostern: Weil im Ende immer wieder ein neuer Anfang liegt. Eigentlich in jedem Ende. Sogar im Tod liegt der Anfang für etwas Neues, für etwas Unvergängliches, für ein Leben mit Gott. 

Das lernen wir Mal um Mal, wann immer wir Neuanfänge im Leben zu verstehen lernen. Und so lernen wir es irgendwann, wenn die Stunde für uns geschlagen hat. Christus ist auferstanden, damit wir leben können. 

Gesegnete Ostern! Amen.

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