08/08/2024 0 Kommentare
Passionspunkt I: Tulpenhofstraße 42
Passionspunkt I: Tulpenhofstraße 42
# Neuigkeiten
Passionspunkt I: Tulpenhofstraße 42
Musik: Klezmer-Band Naschuwa
Anmoderation (Pfr Burkhard Weitz):
Herzlich Willkommen zum ersten Passionspunkt in Offenbach. Herzlich Willkommen auf dem Gelände der Kita der Friedenskirche.
Die Offenbach-Post hat zu den Passionspunkten getitelt: Die Friedenskirche besucht Orte des Schreckens. Diese Überschrift ist falsch. Wir besuchen nicht Orte des Schreckens. Dies ist jedenfalls kein Ort des Schreckens, sondern ein Ort des Glücks.
Der Garten und die Villa waren einst das Zuhause der jüdischen Familie Meyer. Die Kinder der Familie Meyer haben bis ins hohe Alter glückliche Erinnerung an ihre Kindheit bewahrt und an ihre Kinder weitergegeben.
Richtig wäre es gewesen zu titeln, wie wir es in unserer Pressemitteilung auch vorgeschlagen haben: Die Kirche erzählt Offenbacher Leidensgeschichten. Denn das tun wir.
Heute erfahren wir, wie die Familie Meyer ihre Vertreibung aus dem Nazi-Deutschland der 1930er Jahre erlebt hat. Wir geben dem Schicksal einer Offenbacher Familie ein Gesicht. Wir machen dieses Schicksal erkennbar. Und zu diesem Schicksal gehören Jahre des Glücks und Jahre des Schreckens.
Danke der Kita der Friedenskirche, die uns hier bereitwillig das Grundstück überlassen hat.
Dank an die Klezmerband Naschuwa. Klezmer ist die Musik der osteuropäischen Juden und gar nicht die Musik der Meyers, die klassische europäische Musik gehört haben. Aber das Schicksal der Familie Meyer steht heute beispielhaft für das Schicksal von Millionen von Juden in Europa, denen auch schlimmste Weise Unrecht angetan wurde. - Und eben auch für die osteuropäischen Juden; an sie erinnert uns heute die Klezmerband Naschuwa. Danke, dass ihr da seid, danke für eure Musik.
Dank an Gabriele Hauschke-Wicklaus von der Geschichtswerkstatt Offenbach. Frau Hauschke-Wicklaus ist wohl die beste Kennerin des Schicksals der Familie Meyer hier in Offenbach. Sie hat die Nachfahren 2017 bei einem Besuch hier in Offenbach begleitet.
Dank an alle, die diesen und die anderen Passionspunkte mit vorbereitet haben. An die Jugendlichen der Friedenskirche, an Daniel July und Laura Vogel, die heute Passagen aus dem Text von Frau Hauschke-Wicklaus vortragen werden. An die Geschichtswerkstatt Offenbach mit Barbara Leissing und an die offene Stadtkirchenarbeit unter Leitung von Manuela Baumgart.
Frau Hauschke-Wicklaus, Sie haben das Wort:
Gabriele Hauschke-Wicklaus: Bericht über die Familie Meyer
2017 besuchten 15 Nachkommen der Familie Meyer das Elternhaus ihrer Großeltern und Eltern hier in der Tulpenhofstraße 42, das sie bislang nur aus Erzählungen, schriftlichen Erinnerungen und Bildern kannten. Ihre ersten Worte waren: „Es ist wunderbar, vor Ort die Geschichten nachzuerleben, die unsere Eltern für uns in persönlichen Erinnerungen und Briefen festgehalten haben.“ Sie hatten alte Bilder aus dem Fotoalbum ihrer Mutter bzw. ihres Vaters dabei und verglichen sie an verschiedenen Stellen des Hauses mit der heutigen Situation. Sie waren sehr froh, dass der große Garten erhalten geblieben ist.
Und sie ermöglichten mir Einblick in die Lebenserinnerungen ihrer Eltern, die diese erst im hohen Alter Ende der 90er Jahre aufgeschrieben hatten: unvergesslichen Erinnerungen, die sie nach so langer Zeit an ihre Kinder weitergeben wollten. Daraus werde ich einige Passagen zitieren – Passagen, die die Umbrüche in ihrem Leben unter der Nazidiktatur besonders prägnant schildern.
Die Eltern – Hilde Meyer, verheiratete Davis, und Helmut Karl Meyer – waren sich durchaus bewusst, dass sie bis 1933 mit besonderen Privilegien aufwuchsen. Ihr Vater war ein in Offenbach angesehener Lederwarenfabrikant mit guten Geschäftsbeziehungen ins Ausland. Ihre gebildete Mutter hatte nach ihrer Verlobung in London gelernt, den Haushalt eines Direktors mit Personal in diesem komfortablen Haus und großem Garten zu managen.
Die Machtergreifung Hitlers brachte eine Fülle an Veränderungen für die gesellschaftliche Stellung der Familie in Offenbach und für die Ausbildung der Kinder mit sich. Helmut Karl, der sich später in England Charles nannte, berichtete seinen Kindern:
(gelesen von Daniel July) "Man wußte, dass es vor 1933 einen latenten Antisemitismus gab. Auch in Offenbach. Als Kinder hörten wir schon manchmal, wie man uns nachrief 'Du Judd', das gab es schon. Aber bevor die Nazis drankamen, war das eine Erscheinung, die nicht sehr im Vordergrund stand. (…) Nachdem ich die Volksschule, die Goetheschule, verlassen hatte, ging ich nach Frankfurt ins Gymnasium. (...) 1933 hat mich mein Vater aus der Schule herausgenommen und in ein Internat in die Schweiz geschickt. (…) Er hat schon damals vorausgesehen, dass es in Deutschland keine Zukunft mehr für mich geben würde. Ich habe also meinen Schulabschluss in der Schweiz gemacht.“
Die 11-jährige Hilde lebte mit ihren Eltern noch in Offenbach. Sie schrieb über diese Zeit:
(gelesen von Laura Vogel) „In den Jahren vor 1933 gab es meiner Erinnerung nach keinen erkennbaren Antisemitismus. In Offenbach war das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden ausgezeichnet. Ich hatte einen Onkel, Georg Imberger, der meine jüngste Tante Hedwig geheiratet hat. Er war Katholik und ebenso ein Gegner der Nazis wie die Juden.
Am 1. April 1933 begann dann der Juden-Boykott, und wir wurden von der Schule nach Hause geschickt. Ich weiß nicht mehr genau, was dann bis zu dem Zeitpunkt, als die jüdische Schule eröffnet wurde, geschah. Beschimpfungen habe ich persönlich nicht erlebt. Alles, was ich weiß, ist, dass wir 1934 an der Teilnahme vom allgemeinen Schulleben ausgeschlossen wurden. (...) Allen jüdischen Schülern wurde auferlegt, andere Schulen aufzusuchen, da es nicht mehr gestattet war, dass jüdische und nichtjüdische Schüler zusammen waren. Ich habe mich damals gefragt: Welche fürchterlichen Krankheiten oder krankhafte Gedanken müssen wir in den Köpfen der Nichtjuden hervorgerufen haben!“
1936 emigrierte Hilde zu ihren Eltern, die zuvor offiziell die Ausreise nach London beantragt hatten. Dazu hielt sie in ihren Erinnerungen fest:
(gelesen von Laura Vogel) „Am 2. Januar 1936 schrieb mir mein Vater aus England einen Brief: „Willkommen in London". Darin erläuterte er mir, dass er sich umsehe, um dorthin mit uns allen überzusiedeln. Er versicherte mir, dass ich in späteren Jahren die Umstände eher verstehen würde und dann die Veränderung in unsrem Leben, die die Eltern nun vornähmen, zu schätzen wüsste.“
Hilde hebt in ihren Berichten hervor, dass sie ihre wöchentlichen Treffen mit ihren Freundinnen sehr vermisst habe, aber in der Schule in England zum Glück freundlich aufgenommen worden sei.
Helmut kam 1936 aus der Schweiz ins Elternhaus nach Offenbach zurück. Er schrieb:
(gelesen von Daniel July) „Ich hatte damals noch keine genauen Pläne, sah aber meine Berufsmöglichkeiten empfindlich eingeschränkt. (…) 90% der Berufe waren schon ausgeschlossen – „judenrein“. Die Emigration war aber keine Option für mich, denn es gab Quotenregelungen und finanzielle Hürden.
Daher kehrte ich nach Offenbach zurück, in der Absicht den Beruf eines Handelskaufmanns für Lederwaren zu erlernen - wußte aber, dass es nur vorübergehend sein würde. (…) Ich wohnte nun mit (der Familie) meines Onkels und meinen Großeltern in der Tulpenhofstraße, die 1937 in das Haus meiner Eltern eingezogen waren. Die Großeltern mütterlicherseits hatten ihr Haus in der Frankfurterstr. 40 verkauft, um finanzielle Mittel für die Emigration zu haben und der Bruder meines Vaters kam mit Frau u Tochter aus Unterschlesien, wo sie vertrieben worden waren (...).
Meine Eltern waren bereits nach England gezogen, nachdem sie die ungerechte „Reichsfluchtsteuer“ gezahlt hatten. Es war ihnen nicht erlaubt, das Geld, das übrig war, auszuführen. Das lag auf einem Sperrkonto – allein zum Gebrauch in Deutschland verfügbar. Vater hatte zum Glück den Weitblick, eine britische Firma zu finden, die die Handtaschen importierte, die zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Firma in Offenbach, in der ich ab 1936 arbeitete, hergestellt wurden.“
Über das Klima in der von einem NS-Sympathisanten geleiteten Firma der Eltern schreibt er:
(gelesen von Daniel July) Normale Deutsche verhielten sich mir gegenüber korrekt – soweit es ihnen erlaubt war. Die große Mehrzahl in der Firma waren keine Nazis – aber sobald man von der Linie abwich, war das ein Risiko (...)
Es wird für euch, meine Kinder und Enkelkinder, die in einer zivilisierten, demokratischen Gesellschaft aufgewachsen sind, schwer zu verstehen sein, wie es ist, in einer heimtückischen Diktatur zu leben. (...) Für "normale" Deutsche der damaligen Zeit bedeutete das, wenn man seine Arbeit und seine Freiheit behalten wollte, sich anzupassen oder letztlich seinen Kopf einzuziehen, seine Zunge zu hüten, weil man ausspioniert und gemeldet wurde – und dann das KZ drohte. Eine gegenteilige Meinung zu äußern oder den Mund aufzumachen, erforderte Mut.
Zurückgeblickt war es eine unrealistische Existenz. Man redete sich selbst ein, ein normales Leben zu führen.
Noch hatte ich ein Auto zu meiner Verfügung, erhielt einen Arbeitslohn, ging mit Freunden aus und spielte Tennis. Aber tatsächlich war es ein Leben im Ghetto – strikt begrenzt auf die jüdische Gesellschaft. Ich war 19 Jahre alt und mir wurde sehr bewusst, dass ich keinen Kontakt zu „arischen“ Mädchen haben durfte. Das wurde als „Rassenschande“ bezeichnet. (...) Es war also für mich höchste Zeit wegzukommen!
Helmut schrieb, dass die Eltern ihn aus London angefordert hätten – fürs Exportgeschäft. Die Handelskammer erwirkte eine Ausreiseerlaubnis. Er reiste Anfang November 1938 mit dem Zug über ..Holland nach Dover. Sein Pass war mit dem Stempel „J“ versehen. Und er kehrte nicht mehr zurück. Er kommentierte:
(gelesen von Daniel July) „Ich fühlte mich wie ein befreiter Gefangener. Freiheit – und Good bye meinem Heimatland für immer, dachte ich zu dieser Zeit.“
Am 10. November 1938 mussten die Verwandten in Offenbach erleben, wie SA-Leute das Wohnhaus hier in der Tulpenhofstraße 42 stürmten, das Mobiliar zertrümmerten und Benno Meyer schwer verletzten. Charles Meyer schrieb:
(gelesen von Daniel July) „Mein Vater brachte es irgendwie noch Mitte 1939 fertig, meine Cousine namens Ruth und meine mütterlichen Großeltern (...) aus Deutschland rauszuschaffen. Mein Onkel Benno und meine Tante Hildegard kamen jedoch nicht mehr heraus (...) Er starb Anfang des Krieges (in Berlin). Meine Tante wurde verhaftet und kam in ein Arbeitslager, wo sie verschollen ist. - Das ist das Ende meiner Familie in Deutschland.“
1941 wurde dem Ehepaar Albert und Else Meyer und ihren Kindern die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Die Nazis beschlagnahmten das Haus. Es ging in den Besitz des Deutschen Reiches über; der Landrat des Landkreises Offenbach nutzte es für seine Zwecke.
Vier Jahre später hatten die Alliierten Nazideutschland besiegt. Umso bestürzter waren Charles und Hilde, als sich ihr Vater 1947, zwei Jahre nach Kriegsende, das Leben nahm. Die übernommenen finanziellen Bürden für die Großfamilie und eine Depression hatten zunehmend auf ihm gelastet.
Hilde arbeitete während des Krieges an verschiedenen Stellen in und außerhalb von Londonund heiratete 1949 John Davis. Sie bilanzierte:
(gelesen von Laura Vogel) Obwohl ich mich während meiner Schulzeit in England, an meinen Arbeitsstellen und bei der Air Force wohlgefühlt habe, habe ich seltsamerweise nie mehr so enge Freunde gefunden wie in Offenbach (...)
Meine Haltung zu Deutschland und gegenüber den Deutschen hat sich in all den Jahren abgemildert, denn im Vergleich mit anderen Familien hat unsere engere Familie überlebt. Über den Schmerz hinaus, Offenbach verlassen zu müssen, habe ich persönlich nicht unter dem Antisemitismus gelitten (...) Ich kann jemandem, der vermutlich kein Nazi gewesen ist, mit Freundlichkeit begegnen, aber es wird immer eine Mauer zwischen uns sein – und nichts wird mich überzeugen, in das Land zurückzukehren, das es mir unmöglich machte, dort weiterzuleben und wo solche schrecklichen Gräueltaten verübt wurden.“
Charles dagegen besuchte wieder Offenbach. Er hatte ab 1947 wieder eine Manufaktur in Wales aufgebaut und kam mit seinen Lederwaren in den 50er Jahren regelmäßig als Aussteller auf die Offenbacher Lederwarenmesse. Mit seiner Frau Margaret besuchte er ehemalige Freunde wie die Familie Helfrich in Offenbach und lud sogar Mitglieder der Familie zum längeren Aufenthalt in England ein.
In den fünfziger Jahren erhielt die Familie Meyer ihr Eigentum nach langen Verhandlungen wieder zurück. 1954 verkaufte sie die Villa an die Evangelische Friedenskirchengemeinde unter der Auflage, dass das Haus als Kita genutzt und der Garten nicht geteilt, sondern erhalten werden möge. 2017, bei ihrem Besuch in Offenbach, war die Familie gerührt, dass wieder Kinder das Haus und den Garten nutzen. Und dass sie später – wie einst ihre Eltern – Kindheitserinnerungen daran haben würden.
Von dem Historiker Klaus Werner 1985 zur Verfolgung der Juden in Offenbach und zum Verhalten der Deutschen während und nach der Nazizeit in Offenbach befragt, antwortete Charles Meyer:
(gelesen von Daniel July) Ich kann wohl sagen, dass wir erst nach dem Krieg gelesen und gesehen haben, was die Deutschen wirklich gemacht haben. (...) Unfassbar für mich ist, dass es bis heute noch Leute gibt, und nicht nur in Deutschland, die glauben, dass vieles davon Propaganda ist und nicht wahr ist, besonders in diesen Neo-Nazi-Kreisen. (...) Es war aber so. Aber da es ebenso unfassbar war, gibt es Leute, die es einfach nicht glauben wollen, dass so etwas überhaupt möglich war.“
Musik: Klezmer-Band Naschuwa
Reflexion (Pfr Burkhard Weitz):
Das Jahr 2024 hat gerade erst begonnen. Aber schon steht das Unwort des Jahres fest: Remigration.
"Ich finde es eine gute Wahl“, sagt die Chefredakteurin des Dudens Kathrin Kunkel-Razum, „weil der Begriff auf Fremdwortebene versucht zu verschleiern, um was es geht – nämlich Menschen aus diesem Land herauszubekommen."
Das Wort Remigration soll verschleiern, dass heute Politiker antreten mit dem Programm, Zugewanderte des Landes zu verweisen. Sie wollen Menschen, die selbst zugewandert sind oder deren Vorfahren zugewandert sind, des Landes verweisen, auch Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit.
Am 1. September ist Landtagswahl in Thüringen. Nach Umfragen von Infratest DIMAP und INSA liegt die Partei „Alternative für Deutschland“ derzeit bei 30 Prozent Stimmenanteil und wäre demnach, würde kommenden Sonntag in Thüringen gewählt, die bei weitem stärkste Partei.
Björn Höcke ist seit 2014 Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag und voraussichtlicher Spitzenkandidat für die AfD im Wahlsommer. Er hat wörtlich gesagt: „Ich rede nicht mehr von Integration, ich rede von Remigration.“
Die Familie Meyer war nicht zugewandert. Sie war eine deutsche Familie jüdischen Glaubens. Aber die Mechanismen sind die gleichen. Menschen wird ihr Deutschsein abgesprochen. Ihnen wird die Zugehörigkeit zur Gesellschaft abgesprochen. Sie werden mit negativen Eigenschaften belegt und stigmatisiert. Sie werden ausgegrenzt und für die übrigen Gesellschaft zunächst suspekt gemacht, und dann zunehmend verhasst gemacht. Wenn man bedenkt, wie schnell diese Art von Ausgrenzung in der Nazizeit funktioniert hat, ist heute wieder äußerste Vorsicht und Achtsamkeit geboten.
Ich stimme Kathrin Kunkel-Razum, der Chefredakteurin des Dudens, zu: Wir müssen weg von der Abstraktion. Wir müssen über Menschen reden. Allgemeine Aussagen über Menschen treffen fast nie auf einzelne Menschen zu. Deshalb müssen wir Menschen ihre Geschichten erzählen lassen, nicht erst, wenn es zu spät ist.
Wir müssen so reden, wie die Tora von Menschen redet, die heilige Schrift der Juden und die ersten fünf Bücher unserer Bibel. Dort heißt es:
Gott erschafft den Menschen nach seinem Bild. Aber nicht allgemein den Menschen. Sondern schon die ersten Menschen tragen Namen: Adam, Eva, Kain, Abel, Seth. Schon die ersten Menschen treffen Entscheidungen, machen Fehler, begehen schwere Sünden. Die Bibel philosophiert nicht über Menschen. Sie erzählt ihre Geschichte. Wie sich Adam und Eva verführen lassen. Wie sie das Paradies verlieren. Wie Kain seinem Bruder Abel die göttliche Gunst neidet. Sogar wie Kain den ersten Mord begeht. Menschen brechen auf, suchen Neues. Menschen lassen sich nieder, finden eine Heimat. Menschen werden einander vertraut. Menschen werden einander fremd. Aber welche Wege sie auch immer gehen mögen: Wir verstehen sie erst, wenn wir ihre persönliche Geschichte kennen.
„Ich habe einen Traum“, hat der Baptistenprediger Martin Luther King während des Marsches auf. Washington, D. C. am 28.8.1963 gesagt. „Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht nach der Farbe ihrer Haut, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden.“
Und ich möchte ergänzen: „Ich habe den Traum, dass niemand nach seiner Religion, der Herkunft seiner Eltern oder Großeltern, seiner sexuellen Orientierung oder seines Aussehens beurteilt wird, sondern allein nach seinem Charakter.“
Wie geht es weiter? Wir werden weiter die geschehene Leidensgeschichte von Menschen erzählen. Morgen erzählen die Jugendlichen der Friedenskirche um 18 Uhr gegenüber der Bismarckstraße 67 die Geschichte des Ehepaars Schönhof, dessen Koffer auf dem Kofferberg in Auschwitz liegt.
Übermorgen um 18 Uhr erzählt Günter Burkard von der Geschichtswerkstatt, warum 17 Zwangsarbeiter der Heyne-Fabrik im November 1944 bei einem Bombenangriff zu Tode kamen. Treffpunkt: Innenhof der Heynefabrik, Eingang Ludwigstraße 180. Am
Gründonnerstag nach unserem Abendmahlsgottesdienst, also etwa ab 18.30 Uhr, erklärt uns Rabbi Andrew Steiman die Offenbacher Haggadah. Und wir erfahren, wie die Nazis dem liberalen Offenbacher Judentum ein Ende setzten. Kommen Sie. Hören Sie sich diese Geschichten aus der Vergangenheit an.
Und kommen Sie an den ersten drei Sonntagabenden im Juni in den Garten der Friedenskirche. Dann erzählen Menschen von heute ihre Geschichte. Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind, und andere. Hören Sie sich die Geschichten aus der Gegenwart an.
Und bleiben Sie behütet. Bleiben Sie gesegnet. Seien Sie Gott befohlen. Wir wünschen Ihnen einen guten Heimweg und eine gesegnete Nacht.
Zum Abschied hören wir die Klezmerband Naschuwa.
Musik: Klezmer-Band Naschuwa
Kommentare