Ihr seid freigekauft

Ihr seid freigekauft

Ihr seid freigekauft

# Predigt

Ihr seid freigekauft

Liebe Gemeinde, 

es ist gerade mal zwei Jahre her – da arbeitete ich noch für das Magazin chrismon – da bot mir eine Journalistin eine Reportage über Sklaven in Mauretanien ein. Die Kollegin hatte einen 55-jährigen Mann kennengelernt, Brahim Ramdhane, der als Kind in eine Sklavenfamilie hineingewachsen war.  

Brahim Ramdhane fuhr mit unserer Autorin an den Ort, wo er aufgewachsen war, zeigte ihr die Hütte, in der er gelebt hatte, den Brunnen, aus dem er Wasser holen musste, das Herrenhaus, wo er bedienen musste, die Straße, über die er jeden Tag lief. 

Er erzählte ihr, dass er als Vierjähriger h morgens die Ziegen gemolken und sie anschließend in die Wüstensteppe auf der Suche nach Gras und Büschen getrieben habe. 

Als Fünfjähriger habe er Kautschuksäcke mit einer Seilwinde in einen 60 Meter tiefen Schacht hinablassen müssen. 

Er habe für seine Herren Wasser holen, Tee zubereiten, den Esel holen müssen.

Kilometerweit sei er auf der Suche nach Feuerholz gelaufen. Mit einer Kordel verschnürt habe er es auf dem Kopf nach Hause getragen und um die Feuerstelle gestapelt. Dabei sei er barfuß über den heißen Sand in der Mittagssonne gerannt. 

Er selbst musste sich mit den Frühstücksresten der Sklavenhalter begnügen. 

Brahmin erzählte, warum er so hart arbeitete. Weil seine Mutter ihn ansonsten geschlagen habe. Seine Mutter hatte acht Kinder, war tiefreligiös und Analphabetin. Sie fürchtete, aufmüpfige Kinder kämen in die Hölle.

Ein Zufall habe Bahim aus der Sklaverei befreit. Als er sechs Jahre alt war, sei er in die Koranschule ins nächstgelegene Dorf gekommen. Denn die Regierung bezahle nur dann einen Lehrer, wenn der Lehrer mindestens 15 Schüler unterrichte. Und die Sklavenhalter hätten einfach Sklavenkinder auf die freien Plätze gesetzt, wenn der Schulinspektor aus der Hauptstadt kam. Sobald die Genehmigung da war, seien die Sklavenkinder wieder aus der Schule verschwunden. 

Nur diesmal schritt Bahims Mutter ein. Sie bestand darauf, Brahim solle in der Schule bleiben, sonst werde sie gehen. 

Da sie als fleißige und treue Sklavin galt, wirkte die Drohung. Und der mittlerweile sechsjährige Brahim molk die Ziegen für das Frühstück der Master nun vor der Schule. Und während die anderen Kinder in der Schule Pause machten, kam er mittags heim, um Wasser auf dem Rücken der Esel zu holen. Am Nachmittag kehrte er zur Schule zurück. Und Abends beugte er sich im Schein einer Öllampe über das arabische Alphabet und zeichnete Buchstabe für Buchstabe in sein Heft. 

Nach der 7. Klasse wurde Brahim in die Mittelschule versetzt, in der Stadt. Bildung befreite ihn aus der Sklaverei. Denn erst in der Schule erfuhr er, dass Sklaverei in Mauretanien verboten ist. 

Mit dieser Geschichte im Hinterkopf lese ich den Predigttext für den heutigen Sonntag. Er steht im 1. Petrusbrief 1,18-21:

Ihr wisst ja: Ihr seid freigekauft worden von dem sinnlosen Leben,
wie es eure Vorfahren geführt haben. Das ist nicht geschehen durch vergängliche Dinge wie Silber oder Gold.
Es geschah aber durch das kostbare Blut von Christus,
dem fehlerfreien und makellosen Lamm.
Dazu war er schon vor Erschaffung der Welt bestimmt.
Aber jetzt ist er am Ende der Zeit für euch erschienen.
Durch ihn glaubt ihr an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit verliehen hat.
Deshalb könnt ihr nun euren Glauben und eure Hoffnung auf Gott richten.

Ich lese, dass Jesus Christus Menschen freikauft aus der Sklaverei. Bei Brahim war es der glückliche Zufall, der ihn mit der Bildung in Verbindung brachte. Die Bildung hat ihn sozusagen freigekauft. 

Aber ich stelle mir einen Jesus vor, der zu den anderen Sklavenkindern geht, und auch sie freikauft. Der sie herauslöst aus der Erniedrigung, ein Mensch zweiter Klasse zu sein. Der sie befreit aus der Ungleichbehandlung, der ihnen Zugang zu Bildung verschafft.

Und ich lese in den Worte aus dem 1. Petrusbrief, dass Jesus Christus die Menschen nicht mit Silber und Gold freikauft, sondern unter dem Einsatz seines eigenen Lebens. Er kauft sie frei mit seinem kostbaren Blut, heißt es. 

Und er kauft nicht nur Menschen frei, die als Sklaven irgendwelchen menschlichen Herrschaften dienen. Sondern im Petrusbrief heißt es: „Ihr seid freigekauft“, als richte sich der Autor mit seinem Brief direkt an uns, an euch, an Sie und an mich. 

Und ich frage mich?

  • Aus welcher Sklaverei muss ich befreit werden? 
  • Welchen Zwängen unterliege ich?
  • Was erniedrigt mich, was bedrückt mich? 
  • Auf welche Weise erniedrige ich mich selbst? 
  • In welcher inneren Anspannung finde ich mich wieder, in welcher Grübelei, in welchen Selbstgesprächen, in welchen Selbstbezichtigungen, in was für Selbstzweifeln? 
  • Welche Schuld lastet auf mir und holt mich immer wieder ein? 
  • Welche Peinlichkeit kann ich nicht abschütteln, welche Peinlichkeit muss ich vor den anderen verstecken, weil ich Angst habe, dass mich dann niemand mehr mag?

Wir sind nicht als Sklaven aufgewachsen, wie Brahim Ramdhane aus Mauretanien. Unsere Ketten sind nicht so offensichtlich, wie seine. 

Und doch erlebe ich mich selbst so oft in Zwängen. Wer befreit mich daraus – und vor allem: wie befreit es mich?

Ihr seid freigekauft worden von dem sinnlosen Leben,
wie es eure Vorfahren geführt haben. Das ist nicht geschehen durch vergängliche Dinge wie Silber oder Gold.
Es geschah aber durch das kostbare Blut von Christus,
dem fehlerfreien und makellosen Lamm.

Wir haben gestern mit den Konfis die Passionsgeschichte gelesen, wie sie die Evangelisten Lukas und Matthäus erzählen. Wir haben von einem Menschen gelesen, der nicht sterben will, der sich aber in den Willen Gottes fügt. Von einem Menschen, der sich nichts zuschulden kommen ließ, der verspottet und angespuckt, gequält und erniedrigt wird, und der alles über sich ergehen ließ, wehrlos und friedlich. Der noch bei seiner Festnahme einem Verletzten beistand und ihn heilte. 

Ihr seid freigekauft worden. Und es geschah aber durch das kostbare Blut von Christus, dem fehlerfreien und makellosen Lamm
Durch ihn glaubt ihr an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit verliehen hat.
Deshalb könnt ihr nun euren Glauben und eure Hoffnung auf Gott richten.

Ist es so? Richten Sie Ihren Glauben, ihre Hoffnung ganz auf Gott? Und richtet dieser Glaube, diese Hoffnung Sie auf?

Ich stelle mir Brahim Ramdhane heute vor, wie er demnächst beim islamischen Opferfest ein Schaf schlachtet. In diesem Jahr fällt das islamische Opferfest auf den 17. Juni. Ich stelle mir vor, wie ihm das Schaf wie ein Ersatzopfer vorkommt. Es erinnert ihn daran, wie einst Isaak beinahe von seinem Vater Abraham umgebracht worden wäre, dann aber ein Widder auftauchte, den Isaaks Vater stattdessen opfern durfte, so dass Isaaks Leben verschont blieb. 

In gleicher Weise ist auch Brahim Ramdhane verschont geblieben. Er ist heute ein freier Mensch, der nicht mehr sich selbst und sein Leben zum Opfer geben muss, sondern ein Tier an seiner Stelle töten darf. 

Ich stelle mir Christus vor, wie er dazwischentritt und sagt: „Lass das Tier in Ruhe, Brahim, lass das Opfern. Hör einfach ganz auf damit, andere zu opfern, um dich selbst daran aufzurichten. Lass es. Ist es nicht genug, dass ich den Opfergang angetreten habe? Befreie dich von der Ideologie des ‚Nur einer kann es schaffen - ich oder du‘. Löse dich von deinen Allmachtsfantasien, von deinen Rachefantasien. Schäle dich heraus aus deinen Verletzungen, die dir den Takt vorgeben, die dich nach unten treten lassen, damit dir das Getrete von Oben erträglicher wird. Vergrabe dich nicht in deinem Zorn, dass du immer um des lieben Friedens willen verzichten musst. Ich habe doch schon den Opfergang angetreten“, sagt Christus. „Ihr musst das alles gar nicht tun.“ 

Wir bereiten uns in der Passionszeit auf die Karwoche vor. Sie erinnert uns daran, dass vor nicht ganz 2000 Jahren Jesus von Nazareth sich selbst zum Opfer gab, damals, unter Pontius Pilatus. 

Er tat es für seine Freunde. Er tat es für alle, die dabei waren. Er tat es für die ganze Menschheit. Er gab sich selbst zum Opfer hin, damit das Geopfere ein Ende hat. 

Seht auf Christus, will uns der Predigttext sagen. Seht auf den, der ein für alle Mal die Logik von Dominanz und Unterwerfung durchbrach. Der der Logik von Schuld und Rache, Schuld und Sühne, von Wert und Unwert, von Macht und Ohnmacht ein Ende setzte. 

Seht auf Christus, der zu vergeben bereit war. Der bedingungslos zu lieben bereit war. Der mit seiner Liebe alles riskierte, alles in die Waagschale warf. Der auch in der äußersten Not im Einklang mit sich blieb, und mit seinem Gott. Der sich hingab und uns befreite zu einem aufrechten Gang. 

Es geschah aber durch das kostbare Blut von Christus,
dem fehlerfreien und makellosen Lamm.

Amen

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