Miesmacher

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# Predigt

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Liebe Gemeinde, 

als ich den Predigttext für den heutigen Sonntag sah, dachte ich: Die Perikopenordnung, also die Zuteilung der Predigttexte zu jedem Sonntag, muss ein Norddeutscher gemacht haben. Es muss jemand gewesen sein, dem Fasching und Karneval nichts bedeuten. Es muss jemand gewesen sein, dem das bunte Treiben der Karnevalisten, der Spaß und der ungetrübte Humor mindestens suspekt ist, wenn nicht sogar zuwider. 

Ich bin mir aber inzwischen nicht mehr so sicher, ob es wirklich ein Norddeutscher war. Ich bin ja selber einer. Ich kann selbst mit dem närrischen Treiben wenig bis gar nichts anfangen. Aber immerhin habe ich mich Ende vergangenen Jahres aus der Deckung getraut und dem Kirchenvorstand vorgeschlagen, wir könnten doch mal Fasching mit der ganzen Gemeinde feiern. 

Eine Themenidee für die Verkleidung war auch schon da. Lisa Klein hatte vorgeschlagen, doch mal ein Fest zum Thema Gemüse zu feiern. Woraufhin ich vorschlug: Ich geh als Lauch. Wer verkleidet sich als Rettich?

Das schrieb ich an den Kirchenvorstand. Und, liebe Leute, wir hätten einen Heidenspaß gehabt. Ich hätte vielleicht sogar einen Kabarettisten für den Abend gewinnen können, der wirklich äußerst unterhaltsam ist. Bestimmt hätte sich noch jemand ein Brokoli-Kostüm ausgedacht. Die Gurken hätten sich zwischen den Tomaten getümmelt. Und in der Hitze des Abends hätte sich bestimmt auch eine Zwiebel entblättert oder eine Kartoffel geschält. 

Aber es sollte anders kommen. Die Reaktionen aus dem KV waren höflich verhalten: „Nur Kinder feiern Fasching. Wir Erwachsenen doch nicht!“ – Ich hatte gedacht, ich sei hier in Hessen im Spaßäquator Deutschlands. Und dann das. 

Aber es hat auch sein Gutes, dass wir nicht ausgelassen feiern. Denn spätestens heute hätte es für jede Ausgelassenheit einen kräftigen Dämpfer gegeben. Die Spaßbremse Amos, ein Prophet aus dem Alten Testament, lässt heute seine ätzende Gesellschaftskritik auf uns niederrieseln. Und ich sage Ihnen gleich: Was er uns zu sagen hat, ist alles andere als lustig. Der Predigttext für den heutigen Sonntag besteht zwar nur aus vier Versen, aber die haben es in sich. Ich lese vor aus Amos 5,21-24:

Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – es sei denn, ihr bringt mir rechte Brandopfer dar –, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! 

Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Liebe Gemeinde, ich muss diese Worte nicht erklären und auch nicht groß auslegen. Sie erklären sich von selbst. Feste, Versammlungen, Speiseopfer, fette Speiseopfer, Geplärr der Lieder, Harfenspiel – alles hassenswert, alles verachtenswert. Es wirkt fast so, als habe jemand nachträglich, um das ätzende Prophetenwort etwas erträglicher zu machen, eine kleine Einschränkung eingeschoben: „Es sei denn, ihr bringt mir rechte Brandopfer dar.“ Der Einschub passt überhaupt nicht zum beklemmenden Rest. Auch nicht zum Schlusssatz: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Amos will Rechtschaffenheit, nicht Ausgelassenheit. Er will ethischen Ernst, nicht närrische Freude. Er will Konformität, Regeleinhaltung, Gesetzestreue – und keine Ausschweifungen. Amos könnte glatt als 150-prozentiger Protestant durchgehen. 

Liebe Gemeinde, um den Zornesausbruch des Propheten Amos zu verstehen, hilft es, ihn einzuordnen. Als wir vergangenen Mittwoch im Predigtvorbereitungskreis über diesem Text brüteten, haben wir uns auch eine andere Bibelstelle angesehen: 1. Könige 22. Wenn Sie sich das Kapitel bis zu Hause merken können, lesen Sie es nach. Es ist eine sehr anschauliche Geschichte. Ich erzähle sie kurz nach.

Im Kapitel 22 des 1. Buchs der Könige geht es auch um Propheten, ganz viele sogar. Der König von Israel befragt sie, ob er in den Krieg ziehen soll oder nicht, und alle Propheten jubeln ihm zu und raten ihm zu, in die Schlacht zu ziehen. Sie alle sagen ihm einen glorreichen Sieg voraus. Nur einer mault, und das ist der Prophet Micha. Er sagt Unheil voraus. Aber diese miesepetrige Art ist der König von Micha gewohnt. Er lässt den Unheilspropheten für seine Unbotmäßigkeit ins Gefängnis sperren. Allein: Micha behält Recht. Der König verliert die Schlacht – und sein Leben. 

Man muss die biblischen Propheten im Gesamtkontext der Bibel lesen. Immer wieder wird von Heilspropheten erzählt, die Großes voraussagen. Die biblischen Propheten, deren Bücher die Bibel überliefert, sind aber samt und sonders Unheilspropheten. Sie verkünden Heil allenfalls in weiter Ferne: 

  • die Ankunft eines Messias etwa, 
  • oder dass alle Heiden dermaleinst zum Zion, zu Israels Tempel strömen werden,
  • oder dass alle Menschen und Tiere der Schöpfung sich auf ein friedliches Miteinander einigen. 

Für ihre Generation und für die ihrer Kinder und Kindeskinder verkünden diese Propheten aber nur Unheil. 

Dasselbe gilt auch Micha. Von all den anderen Propheten, die im 1. Buch der Könige 22 auch namentlich genannt werden, erfahren wir nichts mehr. Von Micha ist in der Bibel ein eigenes Prophetenbuch überliefert, aus dem auch die schöne Weihnachtsprophezeiung stammt (Micha 5,1): „Du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ Der Vers ist eine seiner wenigen Heilsprophezeiungen. Insgesamt war Micha ein Unheilsprophet, ganz ähnlich wie Amos.

Der Grund, warum Micha und Amos in der Bibel Aufnahme fanden, nicht aber die anderen, liegt in der Geschichte Israels. Denn die Unheilspropheten sollten Recht behalten; und alle Heilspropheten lagen falsch. Die Geschichte Israels verlief sehr unglücklich. 

Und die Bibel nimmt die Kritik der Unheilspropheten auf und macht sie sich zu eigen. Der Grundtenor der Bibel: „Wir, das Volk Israel, waren gewarnt, dass wir durch unser böses Tun Unheil auf uns ziehen würden, aber wir haben nicht darauf gehört. Wir sind selbst schuld an der Katastrophe, die über uns gekommen ist. Wir sollen dafür büßen! Wir sollen unser schlechtes Tun bereuen und uns bessern!“ – 

Mir ist keine andere Heilige Schrift auf der Welt bekannt, in der Menschen sich selbst so scharf anklagen und die Schuld für ihr Unheil einzig und allein bei sich selbst suchen, in der Menschen so schonungslose Selbstkritik üben. So etwas tut nur das Alte Testament, das die Juden den „Tenach“ nennen: Das Buch der Tora, der Propheten und der andere Schriften. 

Der Predigttext aus dem Prophetenbuch Amos stimmt uns also auf die Passionszeit ein, auf die sieben Wochen der Einkehr und Selbstbesinnung. Auf eine Zeit, in der wir uns fragen sollen: Was läuft bei uns schief, wo müssen wir gegensteuern, wo müssen wir dazulernen und uns ändern 

Amos darf man nicht so lesen, dass er die anderen meint. Nein, man muss ihn so lesen, als spräche er uns persönlich an. Wir müssen ihn so lesen, wie wir ihn auch eingangs verstanden haben: Als Spaßbremse, als Querulant und als Miesepeter. 

Aber wir dürfen auch sagen: Allzu weit ist der Miesepeter Amos dann nicht von den Karnevalisten von heute entfernt. Zwar klagen sich die Karnevalisten nicht selbst an, bereuen nicht und gehen nicht in Sack und Asche. Wohl aber können sie sich mit Humor selbst in Frage stellen. Karneval ist, so verstehe ich das Fest, wenn man über sich selbst lachen kann, wenn man die Welt Kopf stehen lässt, um sich selbst vor Augen zu führen, wie schräg das Leben ist, das wir selbst führen. Guter Humor ist, wenn man über sich selbst lachen kann; wenn man sich nicht auf Kosten anderer amüsieren muss. Und über sich lachen, ist heilsame Selbstkritik.

Nicht allen ist zum Lachen zumute. Vielen gehen die lustigen Gestalten auf den Straßen auch gehörig auf die Nerven. Aber gerade diejenigen, denen ganz und gar nicht zum Lachen zumute ist, finden bei den Propheten Trost. Denn Unheilspropheten sind scharfe Analytiker. Sie sehen, was schiefläuft. Sie können es benennen, und wer sich von Gott verlassen fühlt, fühlt sich auch am ehesten von ihnen ernstgenommen.  

All denen, die sie sich von Gott verlassen fühlen, sei mit dem Propheten Jesaja (54,7) heute etwas anderes gesagt, etwas Tröstliches: „Für eine kurze Zeit habe ich dich verlassen, aber voller Barmherzigkeit hole ich dich nun wieder heim. Als der Zorn in mir hochstieg, habe ich mich für einen Augenblick von dir abgewandt. Doch ich habe Erbarmen mit dir, und ich höre nie auf, dich zu lieben. Das verspreche ich, der HERR, dein Erlöser.“ Amen

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