Wächst von selbst

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# Predigt

Wächst von selbst

Liebe Gemeinde, 

während meines Vikariates habe ich in Delmenhorst in der Hauptschule Religion unterrichtet. Es war ein großartiger Kurs, das Unterrichten hat mir viel Spaß gemacht. Die Schülerinnen und Schüler wollten unbedingt den Realschulabschluss schaffen und haben sich sehr dafür angestrengt. Mein Mentor, gleichzeitig auch Klassenlehrer, war stolz auf seine Klasse und auf das, was sie schon alles geschafft hatte. 

In einer der Unterrichtstunde wollte ich mit der Klasse über die Gleichnisse Jesu reden. Es war eine Stunde, in der ich eine goldene Regel der Pädagogik erlernte: „Wenn du eine Frage stellst, frage dich zuerst: Was würdest du antworten?“

Ich legte den Schülerinnen und Schülern ein Gleichnis Jesu vom Königreich Gottes vor. Meine erste Frage war: Was steht drin? Ich wollte das Gleichnis als Impuls einbringen, als Provokation. Motto: Du musst dich nicht nach dem Himmelreich strecken, es kommt ganz von alleine. Und ich dachte, das Gleichnis ist so klar; die Botschaft vermittelt sich von alleine.  

Das Gleichnis steht im vierten Kapitel des Markusevangeliums, und es geht so: 

Jesus sprach: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.“

Ich liebe dieses Gleichnis, weil ich es als so entlastend empfinde. Aber nun lag es da vor den Hauptschülerinnen und -schülern. Sie lasen es. Und die erste Reaktion war: 

Was für eine doofe Geschichte! Es geht um das Reich Gottes, und wir sollen nichts dafür tun? Natürlich müssen wir uns anstrengen, müssen wir unser Bestes geben. Wie soll denn sonst irgendetwas auf der Welt besser werden, wenn wir uns nicht drum kümmern! Wer kümmert sich denn um unseren Schulabschluss, wenn nicht wir selbst! Wir haben die wilden Jahre hinter uns, wir haben gelernt, dass wir uns strecken müssen, wenn wir etwas erreichen wollen, und jetzt kommst du mit so einer Geschichte an! Und das stammt auch noch von Jesus!

Ich war am Boden zerstört und wusste überhaupt nicht, was ich antworten sollte. Natürlich hatten die Hauptschüler Recht. Und Jesus – etwa nicht? 

Und ich muss ehrlich sagen: Ich weiß bis heute nicht, womit ich damals in der Unterrichtsstunde den Einwand der Hauptschülerinnen und -schüler hätte entkräften können; was ich ihrem Einspruch hätte entgegensetzen können. 

Wir schauen uns das Gleichnis näher an. Ich frage: Was will Jesus damit sagen? Wie liest der Evangelist Markus das Gleichnis? Und was fangen wir damit an? 

Bei Jesus scheint der Fall klar: Die Menschen um Jesus herum leiden unter der römischen Besatzung. Und sie sehen sich herbei, dass ein gottbegnadeter König die Macht an sich reißt und endlich wieder so etwas wie Gerechtigkeit herrscht. Die Menschen sind deprimiert. Und Jesus verbreitet Zuversicht. Das Königreich Gottes kommt so sicher, wie die Ernte nach der Saat. Jesu Zuversicht ist ansteckend, sie vermittelt sich schon durch die Art, wie er erzählt. So wie Jesus die Menschen körperlich heilt, so heilt er die deprimierten und niedergeschlagenen Menschen auch mit seinen aufrichtenden Worten. 

Beim Evangelisten Markus erkennt man auch recht deutlich, wie er das Gleichnis verstanden wissen will. Das Königreich breitet sich aus, und plötzlich ist es da, wie die Saat. Als Leser und Leserinnen des Markusevangeliums sehen wir, wie Jesus in der Versuchungserzählung den Teufel bezwingt, die Jünger um sich versammelt, die Dämonen austreibt, die Naturgewalten zähmt. Während wir das Markusevangelium lesen, sehen wir, wie sich das Königreich Gottes wie von selbst ausbreitet. Aber was es heißt, dass Jesus der König ist, erfahren wir erst am Ende, in der Passionsgeschichte. Ernte, das ist bei Markus das Leiden und Sterben Jesu. Im zu Unrecht verurteilten Gerechten zeigt sich seine Königsherrschaft. Aber Jesus überwindet den Tod, und aus den geernteten Ähren kann neue Saat entsteht. 

Und was fangen wir mit dem Gleichnis an? Mich bringen die Worte Glaube, Liebe, Hoffnung auf die Spur. Glauben, das ist ja nicht bloß passives Fürwahrhalten. Glauben ist eine Haltung. Glauben heißt Vertrauen, Gottvertrauen. Und Gottvertrauen bewährt sich nicht in meinem Reden, sondern in meinem Handeln, wie zupackend ich bin, wie ich auf Menschen und auf Vorhaben zugehe. Wie ich es ertragen kann, dass am Anfang nicht immer klar ist, was am Ende kommt. Gottvertrauen heißt, sich vertrauensvoll auf eine Freundschaft einlassen, voller Vertrauen in eine medizinische Behandlung zugehen, sich vertrauensvoll auf einen Weg machen und dabei auch bereit sein, Risiken zu tragen. Das Vertrauen, das ich mir Zeit meines Lebens allen Enttäuschungen zum Trotz bewahre, kann zu großem Gottvertrauen anwachsen. Zu einem Vertrauen, mit dem ich ultimativ mein Leben Gott anvertrauen kann. 

Das gleiche gilt für die Liebe. Lieben heißt immer: sich verschenken. Im Geliebten den Menschen sehen, der er ist, ihn so annehmen, wie er ist, ihn nicht manipulieren und beherrschen wollen. Ob ich diesen Menschen jetzt wirklich liebe oder nicht, zeigt sich nicht in meinen stillen Gedanken, sondern in dem, wie ich handle. Wie ich meine Zeit an jemanden verschwende. Wie ich mich für ihn oder sie einsetze, mich selbst hingebe, ein Risiko für ihn oder sie eingehe, für ihn oder sie geradestehe. Wie ich bereit bin, für jemanden zurückzustecken. Liebe bleibt nicht im stillen Kämmerlein; Liebe drängt nach draußen, drängt zur Tat. 

Und schließlich gilt dasselbe auch für die Hoffnung. Die Hände in den Schoß legen und hoffen, dass alles gut geht, ist keine Hoffnung, sondern Resignation. Hoffnung äußert sich darin, dass ich – mit den Gedanken auf ein gutes Ende gerichtet – zuversichtlich handle. Wer einen Vertrag abschließen will, einen Kredit aufnehmen will, ein Geschäft einfädeln will, kommt erst dann dazu zu hoffen, dass alles gut geht, wenn er oder sie überhaupt erst einmal angefangen hat, etwas zu tun. Hoffnung ist die begleitende Zuversicht zu meinem Handeln. 

Hoffnung für die Hauptschüler in Delmenhorst hieß: Nicht nachlassen im Bemühen um den Realschulabschluss. Nach Großem streben, vielleicht sogar nach dem Abitur. Dranbleiben, sich von misslungenen Klausuren und schlechten Noten nicht entmutigen lassen. Aber sich auch nicht mit allem überfordern. Wenn sich ein Berg von Aufgaben vor einem türmt, man nicht weiß, wo man anfangen soll, mit Mathe, Deutsch, Chemie, Englisch – dann an das Himmelreichgleichnis denken. Das Königreich Gottes, das kommt schon. Du weißt nicht wie. Du weißt nicht, welche Wege Gott mit dir gehen will. Bewahre dir die Zuversicht, dass sich alles fügt. Tu deine Aufgaben, schau auf das, was dran ist. Vergiss dabei nicht zu leben. Und vor allem: Vertrau darauf, dass dein Weg, wie auch immer er aussieht, zu seinem Ziel führt. 

Ich denke auch manchmal, wir nehmen uns in dieser Gemeinde der Friedenskirche allzu Großes vor. Wir wollen mit geringen Ressourcen einen Kinder- und Jugendbereich von 0 bis 18 und älter aufbauen. Wir wollen die Gemeinde zu einem Ort des Zusammenlebens entwickeln. Wir wollen, wenn es irgend geht, aus dem Schrumpfungsmodus raus. Wir wollen die Gemeinde als Gemeinde der Friedenskirche erhalten, während die Gemeinden um uns herum alles runterfahren und nach und nach geschlossen werden. Wie können wir das tun, ohne zu hoffen? Und ist es nicht gerade unsere DNA als Christinnen und Christen, dass wir zu Glaube, Liebe und Hoffnung berufen sind?

Oft denke ich: Es ist so vieles zu tun, wo fange ich an? Und ich weiß ja: Wir können nur Menschenwerk tun. Was am Ende wirklich wird, liegt einzig und allein in Gottes Hand.

In solchen Momenten denke ich an das Gleichnis vom Sämann. Wie Jesus sprach: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.“

Amen

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