Geduldsprobe

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# Predigt

Geduldsprobe

Liebe Gemeinde, 

wie geduldig sind Sie im Warten? Wenn Sie am Supermarkt drei Schlangen sehen, stellen Sie sich dann an der kürzesten an – oder schauen Sie erst einmal nach, wie schnell die jeweiligen Kassiererinnen arbeiten? Und wenn Sie dann merken: da geht es schneller – wechseln Sie dann die Kasse?

Wie geduldig können Sie warten, wenn ein angekündigtes Paket ausbleibt? 

Oder wenn der Zug nicht kommt, sondern sich erst um zehn Minuten verspätet, dann um eine halbe Stunde, dann um eine ganze Stunde, und dann ganz ausfällt, und Sie sich eine neue Verbindung suchen müssen?

Wahrscheinlich sagen die meisten von Ihnen: Kommt drauf an. Wenn ich einen dringenden Termin habe und mir bei der Bahnreise extra eine Stunde Puffer eingebaut habe, dann werde ich bei so einer Verspätung unruhig. 

Wenn ich den Inhalt des Pakets dringend brauche, werde ich ungeduldig. 

Wenn ich nur eben schnell einkaufen wollte, auf dem Weg zu einer Verabredung, und dann bleibe ich an der Kasse hängen, dann werde ich unruhig. 

Das sind die üblichen Alltagssituationen, bei denen uns heute Warten abverlangt wird: Ich habe noch etwas vor, und irgendetwas durchkreuzt meine Pläne und strapaziert meine Geduld. 

Aber es gibt noch andere Situationen des Wartens: Ich warte auf jemanden, der sich angekündigt hat. Solange er nicht da ist, kann ich nichts tun. Solange er nicht kommt, muss ich mich mit einem Mangel abfinden. Ich warte darauf, dass mich jemand aus meiner Misere erlöst.

Ich warte auf den Handwerker, der den Wasseranschluss repariert. So lange muss ich mir die Hände unter Badewannenwasserhahn waschen. Ich warte und warte, aber er kommt nicht. Immer wieder wird mir ein Termin in Aussicht gestellt, immer wieder werde ich enttäuscht. Irgendwann flüstert mir jemand ein: Gib‘s auf, lass dich gehen; gewöhn dir daran, dich woanders zu waschen. Einmal die Woche reicht ja auch… 

Oder stellen Sie sich vor, Sie müssten irgendwo Schmiere stehen, und Sie warten, dass jemand Sie ablöst. Andere verlassen sich darauf, dass Sie Ihre Position halten. Aber die Ablösung kommt und kommt nicht. Wie lange halten Sie  das Warten aus? Verlassen Sie vorzeitig Ihren Posten – und lassen damit die anderen im Stich? 

Auf jemanden warten, der mich aus meiner Misere herauslöst, darum geht es im heutigen Predigttext. Stell dir vor, du bist in einer solchen Lage – wie verhältst du dich da? Was bist du für ein Typ? 

Wie lange hält deine Kultiviertheit an, dass du darauf bestehst: Der Wasserhahn wird repariert. Und wenn du ein halbes Jahr oder länger auf den Handwerker warten musst! Wie lange hält deine Solidarität mit den anderen an, für die du Schmiere stehst. Wirst du dich jemals sagen hören: Ich halte durch, egal was kommt? 

Kennst du dich, hast du dich da schon genügend erforscht?

Der Predigttext für den heutigen zweiten Advent stammt aus der Offenbarung des Johannes, die als Sendschreiben an sieben Gemeinden aufgebaut ist, an sieben Gemeinden, die in der Verfolgung ausharren – die darauf warten, dass ihr Heiland kommt und sie aus ihrem Elend erlöst. Sie warten, und warten. Um sie herum geht die Verfolgung weiter. Einige aus der Gemeinde sind schon verschleppt worden, gefoltert worden. Einige sind schon vom Glauben abgefallen. Andere hat man umgebracht. Aber die meisten warten – bis der Heiland kommt.

Und dann kommen immer wieder Leute, die sagen: Ach kommt, lasst eure Hoffnung fahren. Es bringt ja doch nichts. Leute, die vom Glauben abraten. Leute, die sagen: Dein ganzer Glaube, du könntest ein Zeuge Christi sein, du könntest ein wichtiger Bote seiner Botschaft sein, auf dich käme es an, dein ganzer Glaube ist völlig überzogen. Lass es einfach sein. Aber du erlebst plötzlich eine Kraft in dir, die du dir vorher niemals zugetraut hättest. Du hältst durch. 

So ist die Gemeinde in Philadelphia, an die Johannes, der Seher, schreibt. Sie wartet in der Verfolgung darauf, dass der Heiland kommt, und sie aus der Misere befreit. Sie erweist sich als besonders geduldig. 

Und nun schreibt ihr der Seher Johannes auf Patmos: "Halte durch. Denn ich habe diese Gottesbotschaft für dich, eine Botschaft von dem, der den Schlüssel zum Himmel hat. Lass dich nicht von Leuten irre machen, die dir etwas anderes erzählen. Bleib geduldig, halte durch. Dann wirst du reichlich belohnt werden."   

Ich lese vor aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 3, Verse 7 bis 13:

Dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: 

Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, und der zuschließt, und niemand tut auf: 

"Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. 

Siehe, ich werde einige schicken aus der Versammlung des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen. Siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. 

Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. 

Ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! 

Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen." 

Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Soweit der Predigttext. Es ist eine von diesen Durchhalteparolen, ein Mutmachertext. Bleib dran. Lass dich nicht kirre machen.

Sympathisch finde ich an diesem Text, dass darin ganz selbstverständlich positiv von Juden die Rede ist. Das erleben wir leider nicht so oft im Neuen Testament. Hier heißt es: Juden sind anständige Menschen. Und diejenigen, die dich vom Glauben abbringen wollen, tun so, als wären sie anständig. Sie geben sich als Juden aus. Sie sind es aber nicht. 

Warum hören wir uns so einen Predigttext am zweiten Advent an? Weil wir auf Weihnachten warten. Weil uns Geduld abverlangt wird. Okay, wir wissen, Weihnachten kommt – so sicher wie Tag und Nacht kommen. Insofern warten wir nicht ins Ungewisse hinein. 

Vielmehr die Vorweihnachtszeit ist so strukturiert, dass wir das Warten inszenieren. Wir spielen sozusagen warten. Wir tun so, als würden wir den Ausgang nicht kennen. Wir spielen durch, was andere erlebt haben: das Warten mit unsicherem Ausgang. 

Wir versetzen uns in die Lage anderer hinein, um uns selbst zu fragen: Was für ein Typ wäre ich in der Situation gewesen? Der liturgische Kalender gibt uns die Gelegenheit zu einer Art Selbstprüfung. 

Was bin ich – bin ich der duldsame Mensch, der so vieles aushaltende Mensch. Habe ich die Geduld, die mir andere nachsagen? Kann ich Tage des Unglücks mit äußerlicher Gleichmut tragen, auch wenn es in mir rumort und ich fast am Verzweifeln bin?  

Oder bin ich der andere Typ, äußerlich und innerlich gehetzt, gestresst, ständig unter Druck, immer ungeduldig mit anderen, wie ich auch ungeduldig mit mir selbst bin? Hasse ich mich selbst manchmal für meinen Unmut, für mein ungerechtfertigtes Austeilen?

Wer bin ich wirklich? Bin ich mal dieser Mensch, mal jener Mensch. Dietrich Bonhoeffer hat sich diese Frage in Haft wohl mehrmals gestellt. Er schrieb in seiner Haft ein Gedicht darüber, das so endet: 

„Wer bin ich – zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung, 
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen? 
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“

Amen.

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