So predigen, das kann auch der ChatBot

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# Predigt

So predigen, das kann auch der ChatBot

Liebe Gemeinde, 

der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 1. Johannesbrief, Kapitel 2, Verse 12-14:

Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen. 

Ich schreibe euch Vätern; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. 

Ich schreibe euch jungen Männern; denn ihr habt den Bösen überwunden. 

Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr habt den Vater erkannt. 

Ich habe euch Vätern geschrieben; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. 

Ich habe euch jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden.


Wenn man den Predigttext mit dem Evangelium, das uns Max Wagner eben vorgelesen hat (dem Gleichnis vom Schalksknecht, Matthäus 18,22ff), zusammenfügt, ergibt sich schon alles, was es an diesem Sonntag zu predigen gibt: 

Ihr habt Gott erkannt. Gott vergibt euch eure große Schuld. Deshalb seid auch ihr Vergebende, seid auch ihr großmütig und nachsichtig gegenüber euren Mitmenschen – und handelt eben nicht so, wie es der Schalksknecht aus Jesu Gleichnis tut. 

Damit ist alles gesagt. Es ist eine Predigt, die uns der Chatbot ChatGPT erstellen könnte. Und ich könnte jetzt zum Kanzelsegen übergehen. 

Aber vielleicht bleibe ich noch ein paar Minuten hier oben auf der Kanzel und erzähle Ihnen etwas über den Prediger aus dem ersten Petrusbrief, der hier zu Wort kommt. - Eine kleine Runde trifft sich jeden Mittwoch zu einem kleinen Predigtvorbereitungskreis. Und ich finde es erstaunlich, worauf wir jedes Mal wieder zu sprechen kommen. Letztes Mal kamen wir auf den Prediger des ersten Petrusbriefes zu sprechen – und was ihn zum Beispiel von dem anderen großen Briefeschreiber unterscheidet, von dem Apostel Paulus. 

Wir haben über die 21 Briefe des Neuen Testaments gesprochen. Es gibt 7 echte Paulusbriefe: einen Römerbrief, zwei Briefe an die Korinther, einen an die Galater, an die Philipper, einen an die Thessalonicher und einen an Philemon.

Es gibt 7 Briefe, die man seit der Antike Paulus zugeschrieben hat: der an die Epheser, der an die Kolosser, der zweite an die Thessalonicher, beide Timotheusbriefe, der Titusbrief – man hat sogar den Hebräerbrief Paulus zugeschrieben.

Kennzeichen all dieser Briefe ist, dass sie nach ihren Adressaten benannt werden – also nicht nach Paulus, sondern nach der Gemeinde, an die er sich richtete.

Und es gibt 7 sogenannte Pastoralbriefe: Drei Johannesbriefe, zwei Petrusbriefe, einen Jakobus- und einen Judasbrief. Ihr Kennzeichen ist, dass sie nach ihren Absendern benannt werden. Also nach den Aposteln, die sie angeblich geschrieben haben.

Wer sehr regelmäßig, intensiv und über viele Jahre die Bibel liest und studiert, wird von selbst darauf kommen, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Paulusbriefen – vor allem den echten – und den Pastoralbriefen gibt.  

Die Paulusbriefe fangen immer gleich an. Erst stellt sich Paulus als Absender vor und betont, dass er ein Apostel ist. Es wirkt ein wenig so, als müsse er seine Autorität unterstreichen, als sei seine Autorität alles andere als selbstverständlich; als müsse er um Gehör werben. In den echten Paulusbriefen wirkt diese Werbung um Anerkennung erkennbar flehentlicher, kämpferischer, als in den unechten.

Dann nennt Paulus den Adressaten seines Briefes: die Gemeinde in Rom, in Korinth, in Galatien, in Philippi oder in Thessalonich – oder eben der entlaufene Sklave Philemon. 

Und dann kommt ein Segensspruch, zum Beispiel: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“

Auch das Ende seiner Briefe ist immer gleich. Paulus lässt alle möglichen Leute, die er kennt, in der angeschriebenen Gemeinde grüßen. In den echten Paulusbriefen sind die Grußlisten in der Regel länger, ausführlicher, kenntnisreicher, als in den unechten. Und vor allem kommen in den echten viel mehr Frauen vor, und gerade Frauen, die in den Gemeinden hoch angesehen sind. 

Und schließlich endet Paulus mit einem Segensspruch: „Die Gnade des Herrn Jesus sei mit euch! Meine Liebe ist mit euch allen in Christus Jesus!“ – so endet der 1. Korintherbrief.  

Bei alledem hält sich Paulus an die damals üblichen Formvorgaben für einen persönlichen Brief. Wer schreibt – an wen – dann folgt die Grußformel. Und am Ende: wer ist zu grüßen – und dann folgt die Segensformel. 

Die sogenannten Pastoralbriefe sind ganz anders gestrickt. Der erste Petrusbrief, aus dem unser Predigttext stammt, erwähnt Petrus ganz am Anfang als Absender. Aber dieser Briefeschreiber meldet sich im Verlauf seines Briefes mit keiner einzigen persönlichen Bemerkung zu Wort. Am Ende nennt er zwei Mitarbeiter, Silvanus, der diesen Brief mitgeschrieben haben soll, und einen Markus. 

Es ist aber kein spezifischer Adressat genannt, keine herausgehobene Person. Sondern der Brief richtet sich gleich eine ganze Reihe von Gemeinden: in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asia (also das ganze Gebiet der heutigen Türkei) und Bithynien (also die westliche Schwarzmeerküste der heutigen Türkei). 

Der erste Petrusbrief ist also kein kämpferischer Brief von jemandem an eine bestimmte Gemeinde, mit der er ringt. 

Sondern er ist ein Rundbrief an eine ganze Reihe von Leuten, die überall auf dem Gebiet der heutigen Türkei leben, von einem Menschen, der sich auf die Autorität des Petrus beruft, und diese Autorität offenbar für unerschütterlich hält. Der 1. Petrusbrief liest sich wie ein Hirtenbrief, den heute noch Bischöfe an ihre Gemeinden verschicken und überall verlesen lassen. 

Die Historiker unterscheiden deshalb die echten Paulusbriefe von Pastoralbriefen, wie dem ersten Petrusbrief. Die Paulusbriefe sind an Gemeinden geschrieben, in denen noch keine Autoritäten etabliert waren, an Gemeinden, die relativ egalitär lebten und vom Geist getrieben waren. An Gemeinden, die noch den Geist Jesu atmeten, in ihm lebten, sich zwar heftig streiten konnten. An Gemeinden, in denen Paulus sich auch selbst behaupten musste, jedesmal aufs Neue. In ihnen galt, was Paulus im Galaterbrief 3,28 schreibt.

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

In den ersten christlichen Gemeinden passierte etwas, das in der antiken Welt damals noch völlig neu und revolutionär war: Die religiösen Differenzen zwischen Griechen und Juden waren aufgehoben – was gerade in den jüdischen Gemeinden revolutionär war, versuchten sich doch sonst viele Juden durch ihre Zeremonialgesetze von den Heiden abzugrenzen. 

Die Segregation der Sklavenhaltergesellschaft war aufgehoben – und das in einer Welt, in der Menschen wie Ware verkauft werden konnten: „Hier ist nicht Sklave noch Freier“, heißt es bei Paulus.

Und vor allem waren die Unterschiede zwischen Männern und Frauen aufgehoben – und das in einer so chauvinistisch-patriarchalen Welt wie der griechischen! 

Von all dem ist im ersten Petrusbrief wenig zu spüren. Deshalb sagen die Historiker: Die Pastoralbriefe sind deutlich später geschrieben worden. Als der 1. Petrusbrief geschrieben wurde, da gab es schon Ämter in der Kirche. Es gab einen Episkopus, einen Bischof, der aufpasst, dass sich alle in die Ordnung fügen, dass sich auch die Frauen den Männern unterstellen – all das war undenkbar zwei Generationen früher, als Paulus noch durch das östliche Mittelmeer reiste. An die Stelle der früheren Anarchie, des von Liebe und Begeisterung getriebenen Miteinanders war eine Gemeindeordnung getreten, eine patriarchale dazu. 

Als der erste Petrusbrief geschrieben wurde, da lebte der echte Petrus schon lange nicht mehr. Da waren die Zeitzeugen alle tot, die noch bezeugen konnten, wie Jesus war. Die seinen Geist in alle Welt hinaustrugen und durch ihre schiere Anwesenheit jede Streitigkeit überwinden konnten.  

Als der erste Petrusbrief geschrieben wurde, da predigten die ersten Geistlichen. Und sie beriefen sich auf die früheren Autoritäten, die Apostel, schrieben sogar Briefe in ihrem Namen. Im Namen des Apostels Petrus, zum Beispiel. 

Und die Prediger? Sie kamen über ein moralisierendes „Seid nett zueinander“ nicht mehr wirklich hinaus. 

Wir können darüber spotten. Wir können darin aber auch den Versuch sehen, eine Bewegung wie die Jesusbewegung, die von Spontaneität und Geist getrieben war, zu verstetigen. Ja, dieser Versuch zu verstetigen, war unvollkommen; und wir sind heute eingeladen, die Mängel der ersten organisierten Gemeinden zu beheben oder an ihnen zu arbeiten.  

Aber ansonsten sind wir ja nicht so anders als der Schreiber des 1. Petrusbriefes. Wir sind ebenso ratlos, wie sich so eine Bewegung, so eine Begeisterung, wie sie von Jesus ausging und Jahrzehnte über seinen Tod hinaus die Menschen veränderte, wieder in Gang setzen lässt. 

Ein Historiker hat einmal gesagt: „Jesus predigte das Reich Gottes, und es kam die Kirche.“ Ja, man kann darüber spotten. Man kann aber auch versuchen, als Spätgeborener etwas von der ersten Begeisterung wieder spürbar zu machen. 

Der Prediger im 1. Petrusbrief genießt meine volle Sympathie. Ich mag es, wie er genau das versucht, und wie er gleichzeitig jedes Moralisieren zu unterlassen versucht. Wie er an die Vernunft und an die Verständigkeit seines Publikums appelliert. 

Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen. 

Ich schreibe euch Vätern; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. 

Ich schreibe euch jungen Männern; denn ihr habt den Bösen überwunden. 

Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr habt den Vater erkannt. 

Ich habe euch Vätern geschrieben; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. 

Ich habe euch jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden.

 

Ja, man kann mäkeln, dass er seine Adressaten Kinder nennt und sich ganz im patriarchalen Stil als Vater inszeniert. 

Man kann, ja man muss mäkeln, dass er sich nur noch an Männer wendet und die Frauen offenbar ganz aus dem Blick verloren hat.  

Aber er schickt doch seine Wertschätzung voraus: „Ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist.“ Ihr seid noch immer Berührte, Begeisterte, Menschen, die sich von Jesus mitnehmen lassen.  

Dieser Prediger ist in gewisser Weise auch moralisch anspruchsvoll, vielleicht zu anspruchsvoll für unseren Geschmack: 

„Ihr seid stark“, schreibt er, „und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden.“

Das klingt so, als hätte er ein Publikum vor sich, das geradezu mönchisch oder asketisch lebt. Ein Publikum, das der Welt entsagt.

Sind wir stark? Haben wir der Welt entsagt? Manchmal denke ich eher, wie schwach ich bin, wie leicht ich mich vom Wesentlichen ablenken lassen, wie untröstlich ich sein kann, wie zerrissen ich bin von meiner Schuld, die an mir nagt, von meinen Gewissensbissen gegenüber denen, die ich übervorteilt habe, die ich schlecht behandelt habe, oder über die ich schlecht geredet habe. 

Und dann kommt mir der andere Christus in den Sinn. Nicht der Fordernde, der mich einen Schalksknecht nennt, weil ich sein Übermaß an Vergebung nicht weiterzureichen vermag. 

Sondern der andere, der heilende, der sich zu mir niederbeugt, der seine Hand auf mich legt, und dessen vergebende Kraft ich spüre. 

Ich denke an den Jesus, der mich da liegen sieht wie einen Bettler, und der sich meine Sache etwas angehen lässt, den das Mitleid plagt und der sich Zeit nimmt, nur für mich. 

Und ich denke an den, der für mich eintritt am Jüngsten Tag, der vor den Richterstuhl Gottes springt, wenn ich dastehe und nichts vorzuweisen habe, und der dann sagt: Lieber Vater, lass mich seine Schuld tragen. Und lass diesen frei. Denn er ist mein geliebtes Kind und ich habe seine Not gesehen. 

Amen.

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