08/08/2024 0 Kommentare
Was Gott zusammengefügt hat
Was Gott zusammengefügt hat
# Predigt
Was Gott zusammengefügt hat
Liebe Gemeinde,
gestern sagte mir eine ältere Frau, sie habe es schwer gehabt mit ihrem Mann. Was genau sie damit meinte, sagte sie mir nicht. Aber sie fügte hinzu, sie und ihr Mann hätten zusammengehalten. Wenn man sich zusammenraufe, dann gehe das.
Ich habe der Dame nicht widersprochen. Aber Sie wissen selbst: Auch sich zusammenzuraufen, geht nicht immer gut aus. Nicht wenige scheitern in ihrer Ehe, auch wenn sie alles versucht haben, sie zu retten. Manchmal ist eine Trennung unausweichlich. Manchmal ist sie sogar ein Segen,
- vor allem wenn einer die andere mies behandelt.
- Wenn er sich ihrer allzu sicher ist,
- wenn er weiß: Sie geht nicht. Und sich dann darauf ausruht.
Sie alle haben sicherlich schon die schrecklichsten Geschichten von Ehen gehört, die auf diese scheitern. Manche von Ihnen werden sie auch erlebt haben. Manchmal kann es sogar zynisch sein, von einer Frau zu erwarten, dass sie bei ihrem Mann bleibt, vor allem, wenn er unberechenbar und gewalttätig ist.
Natürlich gibt es auch den anderen Fall: Dass sich Paare nicht genug bemühen, dass er und sie nicht wirklich bereit sind, selbst nachzugeben – und dies dann ein Leben lang bereuen, oder irgendwie nicht mit dem Scheitern ihrer Ehe klarkommen.
Oft höre ich, wie schlimm es heute um die Ehe bestellt sei. Laut statistischem Bundesamt sinkt die Zahl der jährlich geschlossenen Ehen schon seit 1962 kontinuierlich, von damals etwa 700.000 Hochzeiten pro Jahr auf fast die Hälfte – also fast 30 Jahre, bevor sich der geburtenschwachen Jahrgänge in Alter der Eheschließungen kamen.
Richtig ist aber auch: Seit 16 Jahren liegt die Zahl der geschlossenen Ehen relativ konstant bei etwa 370.000 pro Jahr und mehr, also bei mehr als der Hälfte des damaligen Wertes. 2019 wurden sogar 450.000 Ehen geschlossen, so viele, wie seit 1992 nicht mehr. In der Coronazeit wurde weniger geheiratet. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.
Die Zahl der Scheidungen ist nach 1962 in die Höhe geschossen. Wurden damals in einem Jahr etwa 50.000 Ehen geschieden, waren es vierzig Jahr später mehr als viermal so viele: 215.000 pro Jahr. Seither sinkt die Zahl der Ehescheidungen allerdings. Heute werden gerade mal 140.000 pro Jahr geschieden, ein Drittel weniger als noch im Jahr 2002. Die Zahl der Eheschließungen ist in dem Zeitraum nicht gesunken.
Diesen und weiteren Zahlen entnehme ich: Der Wunsch, zweisam durchs Leben zu gehen, ist ungebrochen. Junge Paare sind skeptischer als früher, zögerlicher. Und sicherlich warten sie auch länger, als man früher gewartet hat. Es wird nicht gleich der erste Partner auch geheiratet. Man macht vor der Ehe die ersten sexuellen Erfahrungen, geht reifer in die Ehe als früher.
Ehen halten heute häufiger als noch vor 20 Jahren. Und vor allem dauern Ehen heute länger.
Die Männer sterben nicht mehr mit Mitte 50 oder Mitte 60. Dass man die Silberhochzeit erreicht, ist heute ganz normal und nichts Besonderes mehr. Die Goldene Hochzeit ist auch alles andere als seltenes Glück. Und wie viele kennt man, die sogar die Diamantene Hochzeit erreichen: 60 Jahre das Leben teilen. Vor dieser Herausforderung stand Anfang der 1960er Jahre kaum jemand.
Die Ehe dauert immer länger. Bis zum Schluss zusammenzubleiben wird immer mehr zum Marathon, zur Langstreckendisziplin. Wie viele der heute geschlossenen Ehen bis zum Schluss durchhalten, wird man erst in 70 oder 80 Jahren sagen können. Denn Scheidungen gibt es noch bis ins hohe Alter. Scheidungen nach der Silberhochzeit sind schon lange keine Seltenheit mehr, auch wenn man dann schon absehen kann, dass man wohl alleine durchs hohe Alter kommen muss, ganz ohne Partner oder Partnerin.
Mein Eindruck ist jedenfalls nicht, dass die auf Dauer geschlossene Ehe ein Auslaufmodell ist. Im Gegenteil. Die Zahl der jährlichen Eheschließungen hat sich längst stabilisiert, trotz des Bevölkerungsrückgangs. Die Zahl der Scheidungen sinkt von Jahr zu Jahr. Ein Leben lang verheiratet zu sein, das ist noch immer das Standardmodell und das Ideal, das den allermeisten Menschen für ihr Leben vorschwebt. Es klappt nur eben nicht immer. Aber es scheint immer häufiger zu klappen. Und vor allem bin ich überzeugt: Eine auf Freiwilligkeit und finanzieller Unabhängigkeit beruhende Ehe funktioniert besser als eine, die durch Zwang und durch Not zusammengehalten wird.
Übrigens: Auch die Geburtenrate ist seit 1974 erstaunlich stabil. Damals zählten die Statistiker 1,54 Geburten pro Frau. Die Statistik durchschritt zwar in den 1990ern ein Tal – 1994 wurden nur 1,24 Geburten pro Frau errechnet. Aber schon vor 10 Jahren haben wir wieder den Stand der 1970er Jahre erreicht. Ich weiß gar nicht, ob Ihnen allen das so bewusst ist.
Um den aktuellen Bevölkerungsstand zu halten, braucht es zwar mehr als zwei Kinder pro Frau – sagen dieselben Statistiker; und nichts deutet darauf, dass wir die 1,5er Marke in nächster Zeit signifikant überschreiten werden. Das heißt: Es werden noch immer zu wenige Kinder geboren, und wir werden immer weniger Deutsche insgesamt.
Immerhin, Kinder gehören zum Leben dazu – auch das scheint den meisten jungen Paaren ins Bewusstsein geschrieben zu sein. Aber auch ein Kinderwunsch geht nicht immer in Erfüllung.
Das Evangelium vom heutigen Sonntag handelt von der Ehe und von den Kindern. Ich lese es Ihnen vor:
Pharisäer traten zu Jesus hinzu und fragten ihn, ob es einem Mann erlaubt sei, sich von seiner Frau zu scheiden, und sie versuchten ihn damit.
Er antwortete aber und sprach zu ihnen: „Was hat euch Mose geboten?“
Sie sprachen: „Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden.“
Jesus aber sprach zu ihnen: „Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben; aber von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“
Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an. Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.
Wie kommen diese Worte bei Ihnen an?
Dass Jesus die Kinder liebt und herzt, das ist sympathisch. Ich glaube, dazu muss ich nicht viel sagen.
Die andere Frage brennt viel mehr auf den Nägeln: Wollte Jesus unbedingt Scheidung verbieten? Wollte Jesus, dass Ehepaare niemals auseinander gehen? Und gehört die Unauflöslichkeit der Ehe unauflöslich zum Christentum dazu?
Ich muss Ihnen gleich vorweg gestehen, dass ich in dieser Frage ratlos bin. Und ich will Ihnen gleich auch begründen, warum.
Aber zunächst ein kulturell bemerkenswerter Fakt.
Als Kind habe ich mit meinen Eltern und Geschwistern einige Jahre in Palästina gelebt. Dort unterschieden sich damals muslimische Ehen von christlichen Ehen dadurch, dass muslimische Männer ihre Frauen verstoßen durften – sie durften sich scheiden lassen, christliche Männer aber nicht.
Muslimische Frauen, die wirtschaftlich abhängig waren von ihren Männern, wurden so oft in ihr Elend gestoßen, vor allem, wenn ihre früheren Familien sie nicht mehr bei sich aufnahmen und nicht mehr für sie sorgen wollten – was durchaus passieren konnte. Die Frauen verloren dann nicht nur ihre wirtschaftliche Basis. Sie durften auch ihre Kinder nicht mehr sehen. Sie waren dann gesellschaftlich isoliert und der Willkür anderer ausgeliefert.
Christliche Frauen waren abgesichert, auch diejenigen, die wirtschaftlich von ihren Männern abhingen. Sie hatten ihr Leben lang ihre Familie um sich, und wenn der Mann gewalttätig war, so konnte sie sich doch später wenigstens zu ihren Kindern flüchten.
Auf diesem Hintergrund hat mir immer eingeleuchtet, dass Jesus sagt: „Um eures Herzens Härte willen hat Mose zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden.“
Das heißt: Die mosaische Erlaubnis, sich scheiden zu lassen galt nur für Männer. Und sie traf die Frauen wirtschaftlich ins Mark. Die Scheidung konnte die Frau in die absolute Armut führen. Sie konnte sie gesellschaftlich isolieren. Nicht einmal von ihren Kindern konnte die geschiedene Frau Unterstützung erfahren.
Unser gesellschaftlicher Kontext ist ein anderer. Und wir lesen das Verbot der Ehescheidung anders. Es kommt hartherzig rüber, vor allem bei denen, die unter ihrer Ehe leiden. Bei uns lautet die Frage: Verwässern wir das Evangelium, wenn wir es in unserem anderen Kontext nicht mehr wörtlich verstanden haben wollen?
Oder deuten wir das Evangelium einfach nur sinngemäß deuten? Wenn wir also sagen: Unter unseren Umständen, in denen die Frau eben nicht allein die Nachteile einer Scheidung tragen muss, hätte Jesus das Scheidungsverbot so nie ausgesprochen – weil es hartherzig ist, eine Frau einem gewalttätigen Mann auszusetzen. Und wenn wir sagen: Jesus hätte nie vom einen Partner verlangt, die Ehe aufrechtzuerhalten, wenn der andere Partner gar nicht mehr bei ihm sein will und das Herz schon ganz woanders vergeben ist. Wenn Gott also diese Ehe längst geschieden hat – um im Bilde des Textes zu bleiben.
Ich habe keine Antwort darauf, was nun der christlichere, der bessere Weg ist. Ich würde mich auf jeden Fall für die liberalere Lesart entscheiden, weil durch die strenge Lesart nur neues Unglück in die Welt kommt. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Jesus das so gewollt hat.
Wir sehen ja, wie ungebrochen groß der Wunsch junger Menschen ist, gemeinsam mit einem Partner, einer Partnerin durchs Leben zu gehen. Und wie sehr wir doch auch Menschen ermuntern müssen, nicht gleich beim ersten Streit die Flinte ins Korn zu werfen. Nicht starr an den eigenen Prinzipien festzuhalten, sondern beweglich zu sein, sich aufeinander zuzubewegen, in der Ehe noch dazuzulernen, sich füreinander abzumühen, sie so zusammenzuraufen, wie es mir die Frau gestern erzählt hat.
Ich verstehe, dass viele Katholiken besorgt sind über einen allzu liberalen Umgang mit der Ehe. Aber ich sehe auch diesen Jesus von Nazareth, der sich unserer Not annimmt, der nicht mit dem Finger auf uns zeigt, wenn wir scheitern, sondern uns aufnimmt. Der die Kinder gerade deshalb zu sich lässt, weil sie offen und neugierig auf Situationen zugehen, weil sie situativ angemessen entscheiden – und einander nicht mit Prinzipientreue das Leben zur Hölle machen.
Wenn ich mich frage: Was hätte Jesus gewollt? Dann sehe ich keinen besserwisserischen Pharisäer vor mir, keinen, der mich verurteilt für das, was ich mir ja auch selbst für mein Leben anders gewünscht hätte. Ich sehe keinen, der mich wegen meiner gescheiterten Ehe von seiner Tischgemeinschaft ausschließt. Sondern ich sehe einen Jesus vor mir, der mir ins Innere schaut, der mich im Innersten prüft, aber der mir auch Verständnis entgegenbringt; einen, der mich in meinem Scheitern annehmen kann, wo ich selbst nicht mehr weiterweiß. Und ich sehe einen Jesus, der mir seine Liebe erweist.
Amen.
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