"Ich bin getauft!"

"Ich bin getauft!"

"Ich bin getauft!"

# Predigt

"Ich bin getauft!"

(Predigt nach der Taufe von Leo Becker im Gemeindegottesdienst)

Liebe Gemeinde, 

Feueralarm. „Eine Übung“, sagt die Deutschlehrerin. „Lasst bitte alles liegen, wir gehen jetzt gemeinsam zum Meldepunkt.“ Einige Schülerinnen und Schüler verdrehen die Augen. Andere freuen sich über den ausgefallenen Unterricht. 

Notfallübungen sind wichtig. Denn jede und jeder im Schulgebäude hat spätestens nach dem ersten Alarm eine Vorstellung von dem, was im Ernstfall passiert und was zu tun ist. 

Wir Menschen bereiten uns auf unbekannte Situationen vor, indem wir sie durchspielen. Kinder imitieren, was Erwachsene tun: Puppen ins Bett bringen, Auto fahren, kochen und Dinge konstruieren. 

Piloten lernen an Flugsimulatoren, wie sie bei gefährlichen Turbulenzen richtig reagieren. Techniker denken sich irrsinnige Unfälle aus, um ein Auto noch sicherer zu machen. Je detaillierter die Simulation oder das Modell, desto genauer lernt man daraus – aber eben nur für diesen besonderen Fall. 

Je einfacher das Modell, desto unspezifischer ist es – und desto allgemeiner seine Aussage. Und ich behaupte, die Taufe ist so ein sehr allgemeines Modell, eine Simulation von den Wechselfällen, die unser Leben bestimmen. Sie simuliert den Durchgang von Trauer und Depression zu neuem Leben, zu neuer Lebensfreude.

„Das Zeichen bei der Taufe ist, unter Wasser getaucht zu werden“, schrieb der Reformator Philipp Melanchthon 1521 in seinem Kompendium des Glaubens, den Loci Communes. „Durch die Taufe wird der Durchzug durch den Tod zum Leben aufgezeigt.“

Als ich eben Leo getauft habe, wirkte das vielleicht harmlos, wie das Wasser über seinen Kopf träufelte. Aber wir deuten die Taufe als ein Versenken des Alten. Und das hat damit zu tun, dass ursprünglich der ganze Körper unter Wasser getaucht – und dann wie neugeboren wieder aus der Fluten hervorgezogen wurde.

Dieses Symbol des Untertauchens simuliert die Wechselfälle des Lebens, den Durchgang von der Traurigkeit zur Freude. 

Natürlich kann man sich nicht auf alle Wechselfälle des Lebens vorbereiten. Aber es gibt Muster, die sich wiederholen, auch wenn sie sich einem ausgerechnet in der Situation, in der man sie erlebt, nicht erschließen. Menschen in Todesangst mobilisieren ungeahnte Kräfte. Menschen, die durch Krieg oder Naturkatastrophen alles verloren haben, können in ihrer Verzweiflung eine Energie aufbringen, von der sie vorher gar nichts wussten.

„Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen“, schrieb der Theologe Dietrich Bonhoeffer 1943 aus dem Gefängnis. „Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf Ihn verlassen.“ Auch Bonhoeffer hat diese Kraft gespürt. In der Todeszelle hat er das Lied gedichtet, das wir eben gesungen haben. 

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Oft ist es gut, dass man vorher nicht ahnt, was alles auf einen zukommt, sondern es getrost abwartet. 


Ich habe Sie gar nicht nach Leos Geburt gefragt, Frau Traxler, wie das war. Ob es eine schwere oder leichte Geburt war. Aber das Interessante ist ja: So schwer eine Geburt auch sein mag, im Nachhinein blenden die meisten Gebärenden alle Schmerzen und Ängste aus. Und wie es scheint, war das schon vor 2000 Jahren so. Unser heutiger Predigttext spricht davon. Es sind sieben Verse aus Jesu Abschiedsrede im Johannesevangelium, Kapitel 16: 

Da sprach Jesus: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. 

Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt. Wir wissen nicht, was er redet.

Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden. 

Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. 

Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.


Soweit der Predigttext. Er handelt von Abschied und Wiedersehen, von Traurigkeit und Freude, von einem Wechsel, der vom Dunklen ins Helle führt. Von einer Lebenserfahrung, die alle Menschen machen. Und die vermutlich wenige Menschen so intensiv machen, wie Gebärende. 

„Der Nutzwert des Zeichens“, schrieb der Reformator Philipp Melanchthon damals, „besteht darin, zu bezeugen: Du gehst durch den Tod hindurch ins Leben. Erschrecken dich die Sünden, erschreckt dich der Tod, erschrecken dich andere Übel der Welt: Vertraue, weil du das Siegel der Barmherzigkeit gegen dich empfangen hast. Du wirst gerettet werden, wie sehr dich auch die Pforten der Hölle bestürmen.“ 

Die Taufe inszeniert Grenzsituationen, sie simuliert Rettung und Versöhnung. Denn die Taufe ist das Symbol der Auferstehung – des Entkommens aus einer Sackgasse, des Neubeginns nach einem vermeintlichen Ende. „Die Zeichen bleiben das ganze Leben hindurch in Funktion“, schrieb Melanchthon, „sie sind Erinnerungsstücke zur Einübung des Glaubens.“

Was auch immer Leo in seinem Leben durchmachen muss: Bestärken Sie ihn in der Zuversicht, in der Hoffnung, im Glauben. Erinnern Sie ihn so oft es geht an seine Taufe: Leo, du bist getauft. Was immer du durchmachst, denke daran: Gott hält zu dir. Gott führt dich durch jedes Tal. Manchmal brauchst du Geduld und Ausdauer. Manchmal magst du dich so fühlen, als habe Gott dich ganz und gar im Stich gelassen; als habe er dich vergessen. Verliere nicht deine Geduld. Sage dir immer wieder: Ich bin getauft. Ich bin gesegnet. Ich liege sicher in Gottes Hand. – Amen.

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