08/08/2024 0 Kommentare
Sehnlichst erwartet - und ent-täuscht
Sehnlichst erwartet - und ent-täuscht
# Predigt
Sehnlichst erwartet - und ent-täuscht
Liebe Gemeinde,
Jesus zieht in Jerusalem ein, noch sieht alles wunderbar aus. Doch dann passiert das Schreckliche. Erst jubeln die Menschen Jesus zu, und wenige Tage später schreien sie „Kreuzige ihn“. Die Geschichte von Palmsonntag gehört in die Passionszeit vor Ostern.
Eben haben wir ein Adventslied gesungen: „Tochter Zion, freue dich“. Im Gesangbuch steht es unter der Rubrik „Advent“. Das Lied passt zu Palmsonntag, es handelt von Palmsonntag, aber wir singen es trotzdem immer nur vor Weihnachten.
Ich glaube, das hat etwas mit dem Thema des Palmsonntags zu tun, mit der Erwartung. Im Advent erwarten wir etwas, Weihnachten. Da steuern wir geradewegs auf etwas Schönes zu, worauf wir uns freuen.
Aber jetzt geht es auf Karfreitag zu, auf etwas Schreckliches, nämlich auf die Kreuzigung Jesu. Die wollen wir natürlich nicht erwarten. Sondern hier geht es vor allem um Erwartungen, die an Jesus herangetragen werden - und um Enttäuschungen. Hören Sie selbst. Max Wagner liest uns den Predigttext aus dem Johannesevangelium, Kapitel 12, vor.
Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem kommen werde, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrien: "Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!" Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: "Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen." Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte. Die Menge aber, die bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, bezeugte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.
Ich erkennen vier Formen der Erwartung in diesem Textabschnitt.
Ganz am Anfang geht es um Jesus, um seine Erwartung an sich selbst, eine Erwartung, die er hier in dieser Geschichte sozusagen aufbaut. Er verhält sich wie ein von den Propheten verheißener König, der auf einem Eselsfüllen in Jerusalem einreitet. An diese Geste knüpften sich zu Jesu Zeiten große politische Hoffnungen. Aber Jesus ist immer einer gewesen, der die Erwartungen der Menschen konterkariert hat, der nicht zu den Frommen geht, sondern zu den Außenseitern.
Und so konterkariert er sie auch hier. Jesus inszeniert sich als König, aber er entpuppt sich als ein ganz anderer König. Nicht als herrschender, sondern als dienender König. Nicht als gewalttätiger, sondern als Gewalt erleidender König. Nicht als Machtmensch, sondern als Ohnmachtsmensch. Fast schon ist er die Karikatur eines Königs.
Diesen Weg geht er konsequent bis ans Kreuz. Er verzichtet bei seiner Verhaftung auf Gewalt. Er verliert kein böses Wort über seine Widersacher. Im Grunde kündigt er diesen Weg schon im letzten Mahl mit seinen Jüngern an.
Aber es ist eben nur Jesus, der diesen Weg so konsequent geht. Keiner seiner Jünger schafft es. Sie scheitern alle an ihren Erwartungen an sich selbst. Ich finde das irgendwie tröstlich.
Seine Jünger verstehen es zunächst gar nicht. Sie kennen Jesus, reden mit ihm, und richten sie Erwartungen an ihn, die offenbar nichts mit dem zu tun haben, was dann geschieht. Das ist die zweite Form der Erwartung, die Projektion.
Die Jünger erhoffen sich etwas von Jesus, aber sie verdrängen auch etwas. Dass sich Jesus so als König inszeniert, das verstanden seine Jünger zuerst nicht – heißt es im Predigttext. Doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte.
Ich vermute, dass Jesus für die Jünger eine Art Superman war, einer, der alles zum Guten wendet, eine überlegene Heldenfigur. Mich würde es jedenfalls nicht wundern, weil ich Jesus selbst gerne so sehe. Aber so ist er nicht.
Erst später, im Nachhinein, ohne den Druck der Ereignisse, beginnen die Jünger zu verstehen. Sie werden gewissermaßen „ent-täuscht“; sie legen ihre Täuschung ab und sehen Jesus im neuen Licht. Sich ent-täuschen zu lassen ist etwas Positives. Man befreit sich von einer illusionären Sicht auf die Dinge.
Erst nach Ostern sehen die Jünger in Jesus einen, der etwas Wesentliches über unser Menschsein offenbart: Dass wir Ebenbilder Gottes sind, aber nicht dann, wenn wir besonders stark und überlegen sind, sondern dann, wenn wir schwach sind. Wenn wir uns auf unsere Versäumnisse besinnen. Wenn wir empfänglich dafür sind, dass wir aufeinander angewiesen sind. Wenn wir weich werden und uns öffnen lassen füreinander.
Die dritte Form der Erwartung finde ich bei der Menschenmenge. Das sind Menschen, die großes von Jesus gehört haben, dass er sogar Tote zum Leben auferwecken kann. Und nun auf einmal projizieren sie alles Mögliche an Wunschvorstellungen auf ihn. Auch sie werden enttäuscht, wie die Jünger. Auch ihre großen Erwartungen werden nicht erfüllt. Aber sie lernen nicht daraus. Jesus entpuppt sich für sie im Nachhinein als ein „fail“, ein Versager.
Sie sind nicht bereit, den Grund für ihre Ent-täuschung in sich selbst zu suchen. Sondern sie halten an ihrer Wunschvorstellung fest, an ihrer Projektion. Jesus habe sich als Superstar inszeniert, sagen sie, und als Versager entpuppt. Aus dem Idol wird ein Geächteter, aus der Verehrung wird Spott. Dabei liegt – wie so oft – der eigentliche Skandal nicht im Sturz des Idols, sondern darin, dass man ihn von vornherein zum Idol stilisiert hat.
Die vierte Form der Erwartung ist etwas versteckt. Ich behaupte, auch die Pharisäer, die sich am Ende in ihrem Groll gegen Jesus nur bestätigt sehen, auch sie haben eine Form von Erwartung: Sie erwarten missgünstig. Sie würden es so nicht zugeben, aber sie wollen im Grunde, dass Jesus scheitert. Sie werden später durch die Ereignisse in ihrer Missgunst bestätigt: „Wir haben es ja gleich gesagt, dass das nicht funktionieren kann – dass der das nicht kann!“
Die Pharisäer leben in ihrer Vorstellungswelt. Dass da jemand Neues kommt, der die Dinge anders sieht, als sie – nicht schlechter sieht, nur anders – darauf lassen sie sich gar nicht erst ein. Und deshalb denken wir immer von Pharisäern als bösen Menschen, als unerschütterlichen Rechthabern, als Besserwissern.
Ich stelle mir vor: Eine alte Kollegin ist gegangen, eine gute Freundin, und nun sitzt da jemand anderes mir gegenüber im Büro. Und egal, was er macht, im Grunde gebe ich ihm keine Chance. Selbst wenn ich es mir selbst nicht eingestehe, im Grunde erwarte ich, dass er sich gar nicht in seiner Position beweisen kann, dass er gar nicht an meine Erwartungen heranreichen kann.
Ich gebe seinen vermeintlichen Fehlern, seinen vermeintlichen Versäumnissen ein größeres Gewicht, als dem, was dieser Kollege vielleicht auch an Gutem beizutragen hat. Ich sage zwar, „Er soll seine Chance haben“, aber innerlich erwarte ich, dass er sie nicht nutzt. Und meine Erwartung bestätigt sich, aber aus Gründen, die nichts mit dem neuen Kollegen zu tun haben, sondern mit mir, mit meinem Schmerz, weil ich seine Vorgängerin vermisse. Der Neue muss sozusagen scheitern. Nicht, weil er es nicht kann, sondern aufgrund meiner Haltung, die ich von vornherein hatte.
Wenn ich die Pharisäer so sehe, dann kann ich mich auch selbst in ihnen wiederfinden. Denn das kenne ich, dass ich mich auf eine Haltung versteife, mich innerlich hineinsteigere, in den eigenen Groll, in die eigene Enttäuschung, in die Selbstgerechtigkeit. Wie oft ist mir das schon passiert.
Natürlich schäme mich, wenn mir irgendwann dämmert, was da in Wirklichkeit ablief – ganz besonders dann, wenn ein anderer Mensch dadurch Nachteile hat. Und deswegen sehe ich mich nicht gern in der Rolle des Pharisäers. Aber ganz ehrlich: Ich schlüpfe schneller hinein, als mir lieb ist.
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Der Predigttext erzählt von unterschiedlichen Formen der Erwartung.
In der Adventszeit verhalten wir uns selbst wie Erwartende. Die Passionszeit bietet Gelegenheit, über die eigenen Erwartungen nachzudenken: Wo hängen wir einer Illusion nach, wo erwarten wir Unmögliches? Wo ist unsere Enttäuschung vorprogrammiert? Und wie können wir überhaupt aus der enttäuschten Erwartung lernen?
Die Bibel erzählt von einem Bruch. Christus stirbt, die Welt steht still. Aber Gott erweckt den Toten wieder zu neuem Leben. Erst der Auferstandene öffnet den Jüngern die Augen.
Dass die Jünger diese Tiefe durchschreiten müssen, bevor sie aus ihrer Enttäuschung lernen, ist schon eine ziemlich illusionslose Weise, die Dinge zu betrachten. Wir Menschen lernen nicht gerne dazu. Wir Menschen lassen unsere starren Vorstellungen nicht gerne aufbrechen.
Aber die Bibel erzählt auch: Der Bruch kann kommen. Gott kann uns aus unserer Starre befreien. Das können wir nicht erwarten. Aber wir können darauf hoffen. Amen.
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