Wettet Gott mit dem Teufel?

Wettet Gott mit dem Teufel?

Wettet Gott mit dem Teufel?

# Predigt

Wettet Gott mit dem Teufel?

Liebe Gemeinde, 

eigentlich, so dachte ich, ich hätte verstanden, wie das Leben läuft: Streng dich an, pass auf in der Schule schreibe gute Noten, dann machst du einen guten Abschluss. Probiere dich aus, sei kreativ, entdecke das Leben, genieße jeden Tag, aber schlag nicht über die Stränge. Du findest deinen Weg. Und dann die Ausbildung, die erste eigene Wohnung, Partnerschaften, Enttäuschungen, wieder in die Bahn finden, die erste längere Partnerschaft, vielleicht Kinder, vielleicht ein eigenes Haus, vielleicht geht nicht alles reibungslos, aber so ist das, und irgendwie fasst du schon Fuß, irgendwie findest du deinen Weg. 

Streng dich an, nicht zu sehr, bleib locker, probiere dich auch mal aus, stecke Niederlagen ein, lerne daraus. Du siehst schon, so läuft das. Vertrau auf Gott, und er wird’s richten. So dachte ich.  

Und dann passiert etwas, das undenkbar war. Krieg. Eine Granate, eine Rakete, und ein paar hundert Kilometer östlich von uns in der Ukraine erleben Menschen, wie ihr mühsam aufgebautes Leben pulverisiert zwischen zwei eingestürzten Betonplatten. Da ist keine Korrektur möglich, kein Lernen aus Fehlern, kein guter Vorsatz, es das nächste Mal besser zu machen.

Seit einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Und ich denke immer nur: Wie schnell und unerwartet und vor allem: wie völlig unverschuldet man plötzlich alles verlieren kann. 

Und seit einem Monat stehen Zigtausende Menschen in der Türkei und in Nordsyrien vor den Trümmern ihres Lebens. Das Unglück hat sie über Nacht eingeholt. Und jetzt ist für so viele von ihnen alles verloren. Und es ist kein Sinn darin zu erkennen. Das Leid dieser Menschen ist einfach nur sinnlos.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im zweiten Kapitel des Buches Hiob. Die meisten von Ihnen kennen die Geschichte. Sie beginnt so: Hiob ist ein frommer und wohlhabender Mann. Aber der Satan Gott fordert, Hiobs Frömmigkeit auf die Probe zu stellen. Und so verliert Hiob Hab und Gut. 

Schlimmer noch, auch der Großteil seiner Familie kommt um. Ein Bote nach dem anderen überbringt Hiob diese Hiobsbotschaften. Der Predigttext des heutigen Sonntags erzählt diese Geschichte weiter. Ich lese Ihnen das zweite Kapitel des Hiobbuches vor:

Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, dass auch der Satan mit ihnen kam und vor den HERRN trat. Da sprach der HERR zu dem Satan: "Wo kommst du her?" Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: "Ich habe die Erde hin und her durchzogen." Der HERR sprach zu dem Satan: "Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben." Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: "Haut für Haut! Und alles, was ein Mann hat, lässt er für sein Leben. Aber strecke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: Was gilt’s, er wird dir ins Angesicht fluchen!" Der HERR sprach zu dem Satan: "Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben!" Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des HERRN und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel. Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche. Und seine Frau sprach zu ihm: "Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!" Er aber sprach zu ihr: "Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?" In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen. Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten. Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.

Liebe Gemeinde,

Hiobs Elend setzt sich hier in dem, wovon der Predigttext erzählt, fort. Der Satan sagt zu Gott: Du kannst ihm seinen Besitz und seine Familie nehmen, aber solange du ihn persönlich nicht triffst, solange Hiob ein gesunder Mensch bleibt, mag er denken, dass er selbst noch immer von Gott gesegnet sei. Taste ihn an, mach ihn krank, lass ihn das Elend selber spüren, und du wirst sehen: Dann wird Hiob dich auch verfluchen

Diese Hiobserzählung wirft bei mir zwei Fragen auf: Halten wir wirklich nur deshalb zu Gott, weil es uns gut geht? Und: Ist es unser Elend wirklich das Ergebnis einer miesen Wette im Himmel?

Zur ersten Frage: Ich bin mir da nicht so sicher, ob wir wirklich nur deshalb gläubig sind, weil wir selbst einen Vorteil aus unserem Glauben zu ziehen meinen. Gewiss, uns hier im Offenbacher Westend geht es gut. Anders als in vielen Stadtteilen Offenbachs leben hier viele Familien über Generationen im gleichen Haus. Man kennt sich oft von Kindesbeinen an. Schon die Eltern und Großeltern sind oft miteinander zur Schule gegangen. Man fühlt sich behütet. Und hier in der Friedenskirche ist der Gottesdienstbesuch relativ stabil – zumindest, wenn man das mit den anderen Stadtteilen vergleicht. Ein Soziologe, der sich das Ganze aus der Vogelperspektive anschaut, würde vielleicht sagen: Naja, im Westend geht es den Leuten gut, sie fühlen sich mit Reichtum gesegnet, hier ist die religiöse Bindung noch einigermaßen intakt. 

Aber wenn ich mit Ihnen rede, mir Ihre Lebensgeschichten anhöre, wenn wir über den Brüchen in den Familiengeschichten ins Gespräch kommen, über das persönliche Herzeleid in vielen Familien, dann stellt sich die Sache anders dar. Dann sind es gerade die Leidgeprüften, die das Gespräch mit dem Pfarrer suchen, die eine größere Gemeinschaft suchen, über die eigene Familie hinaus, die ihr Leben reflektieren und nach Antworten auf ihre vielen Fragen suchen.

Die zweite Frage, die der Text bei mir aufwirft: Ist es unser Elend wirklich das Ergebnis einer miesen Wette im Himmel? Lässt sich Gott tatsächlich von so einem schmierigen Typen namens Satan um den Finger wickeln und zu Unheil anstiften? Geht es im Himmel zu wie im Kreml, mit Intrigen, mit Wetten und Machtspielchen auf Kosten der kleinen Leute?

Darüber einmal nachzudenken, das ist sicherlich lohnend. Und die Provokation, die von der Rahmenhandlung des Hiobbuches ausgeht, von diesem Vorspiel im Himmel mit Gott und dem Satan, diese Provokation nehme ich gerne auf und versuche mich ihr zu stellen.

Aber ich kann und will mir nicht so den Himmel vorstellen. Denn was wäre das für ein Gott, der sich auf ein solches Experiment einlässt? Mir ist das Vorspiel im Himmel, das Vorspiel zur Elendsgeschichte des Hiob zutiefst unsympathisch. 

Und so viel darf ja auch mal gesagt sein: Die Rahmenhandlung zum Hiobbuch ist Fiktion, mehr nicht. Der Erzähler der Hiobsgeschichte war ja nicht dabei – wie auch? Niemand weiß, was im Himmel geschieht: Hiob nicht, der Erzähler der Hiobsgeschichte auch nicht. 

Der Erzähler der Hiobsgeschichte beruft sich ja auch auf keine Offenbarung. Ohne Offenbarung von göttlichen Dingen erzählen, das ist untypisch in der Bibel. Alle anderen, die von göttlichen Dingen erzählen, die Propheten zum Beispiel, berufen sich auf große Offenbarungen Gottes. Der Erzähler der Hiobsgeschichte tut das nicht. Und das ist für mich ein Hinweis darauf, dass das Vorspiel im Himmel vor allem eines ist: Ein Gedankenexperiment. 

Und dieses Gedankenexperiment besagt: Wie weit kann Gott gehen, wenn er die Leidensfähigkeit eines Menschen prüfen würde? Wann reißt Hiobs Geduldsfaden. Wann reißt der Geduldsfaden selbst dieses frömmsten aller Menschen? 

Man kann dann in den 42 Kapiteln des Hiobsbuches zwei Teile unterscheiden. Der eine ist das sogenannte Volksbuch, die Rahmenhandlung. Davon handelt die Predigt heute. 

Der zweite Teil, das sind die vielen Kapitel mit Hiobs Reden, in denen Hiob Gott seine Wut, seinen Zorn, seine Enttäuschung entgegenschleudert. Und in denen seine Freunde ihm hilflose Antworten auf sein Elend entgegenhalten, hilflose Ratschläge, Auskünfte, die niemand hören mag, der im Elend sitzt. 

Bleiben wir heute beim Volksbuch, bei der Rahmenhandlung. Auch hier kriegt Hiob von den Geschehnissen im Himmel nichts mit. Er ist ahnungslos. Spielball von Mächten, die für ihn unerreichbar sind. Aber was nützt das alles. Ein Krieg hat Hiob um sein Vermögen gebracht. Eine Naturkatastrophe hat ihm auch noch seine Familie geraubt. Es ist das gleiche Elend, das auch heute noch über so viele Menschen hineinbricht.  

Und nun befällt den armen Hiob auch noch eine fürchterliche Krankheit. Da sitzt er in Staub und Asche und schabt sich mit einer Scherbe die Geschwüre vom Leib. Und dann zerrt auch noch seine Frau an seinen Nerven und schürt den Zweifel. Sei redet auf ihn ein und sagt: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!“

Doch Hiob bleibt der große Dulder. Er sagt: Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? Was ist das für ein Mann, der sich das alles gefallen lässt? Wie kann sich jemand so in sein Schicksal ergeben? Ist er vielleicht gefühllos? ist er emotional stumpf? Fehlt es ihm an Empathie?

Ein Kapitel weiter, und die Sache sieht schon ganz anders aus. Im nächsten, im dritten Kapitel setzt Hiob zu seiner ersten großen Rede an, wörtlich heißt es: „Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. Und Hiob sprach: Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin.“

Da kommt die ganze Resignation heraus, die ganze Wut, der Zorn. Da kommt dieses Gefühl der Sinnlosigkeit hervor, das einen packt, wenn man in seinem Leben alles richtig gemacht hat, alles gut lief, und man selbst auch nie von Übermut gepackt war, nie überheblich wurde, immer auf dem Boden blieb, und einen dann doch – aus heiterem Himmel, völlig unerwartet und völlig ungerechtfertigt – das Elend packt. 

Wenn man merkt: „Das Leben ist ungerecht. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, ich habe alles richtig gemacht, ich war immer hilfsbereit. Und jetzt hocke ich da in meinem Elend, und alles, was bis hierher galt, erscheint mir auf einmal so hohl, so leer, so sinnlos!“ - dann wünscht man sich das alte Leben zurück. Aber es ist weg, verschwunden unter Geröll, zerdrückt zwischen einstürzenden Betonplatten, zermalmt von irgendjemanden, der diese Granate, diese Rakete konstruiert hat, eine Rakete die keinen anderen Zweck erfüllt, als mein Leben zu zerstören. Warum? „Gott, das kann nicht dein Ernst sein!“ 

Was mich am meisten berührt an diesem zweiten Kapitel des Hiobbuches, das sind Hiobs Freunde. Später im Buch erscheinen sie als die großen Erklärer, die Redenhalter, die Besserwisser, als die schlechten Seelsorger, die Dreinquatscher, die Hiobs Not nicht sehen, nicht aushalten wollen, die Hiobs Not wegerklären wollen. Aber hier machen sie alles richtig. Ich zitiere aus dem zweiten Kapitel, aus dem Predigttext: 

Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama.“

Die Freunde machen sich auf den Weg. Sie lassen für ihren Freund Hiob alles stehen und liegen. Sie sagen nicht: „Der will jetzt allein sein. Der will das mit sich ausmachen. Ich möchte die Familie in dieser für sie schweren Zeit nicht stören.“ Das alles sagen sie zum Glück nicht. Sie stehlen sich nicht mit Ausreden aus der Affäre. Sie stehen zu ihrem Freund. 

Denn“ –  so heißt es weiter – sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten.“ Was für ein schöner Satz. Die Freunde kommen überein – das bedeutet, dass sie sich auch untereinander beratschlagen. Und sie beschließen, dass sie Hiob und sein Elend beklagen, und dass sie ihm Trost geben wollen. Eine gute Entscheidung. Wie sie trösten wollen, das erfahren wir nicht. Aber wir erfahren:

Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht“ – so heißt es, und die Zeile geht mir durch Mark und Bein. Die Freunde erkennen ihren Freund nicht mehr, so sehr hat ihn das Elend getroffen. Aber sie lassen sich nicht abschrecken, sondern sie bleiben, denn es heißt weiter: 

sie erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“

Das sind wahre Freunde. Auf solche Freunde kann man zählen. Das sind die Freunde, die bleiben, wenn man so ein Elend mal durchgestanden hat, und wenn sich zeigt, auf wen man zählen kann und auf wen nicht. Sie sind sich nicht zu schade zu zeigen, dass das Elend ihres Freundes auch ihr Elend ist, dass sie es sich zu Herzen gehen lassen, dass sie eins sind mit ihm in seinem Schmerz. Und es ist klar in dieser Szene: Auf Hiobs Elend gibt es keine Antwort. Es lässt sich nicht erklären. Es ist einfach nur ungerecht. 

Welche Rolle spielt Gott dabei? 

Die Rahmenhandlung des Hiobbuches entwirft ein zynisches Gottesbild. Ja, wenn ich die irdischen Zustände mir anschaue, wie es die Mächtigen dieser Welt mit den Menschen halten, und mir dann einrede, im Himmel werde es nicht anders zugehen, dann muss ich mir Gott wirklich so vorstellen: Wie einen, der eine Wette mit dem Teufel eingeht. Und diese Wette mit dem Teufel, was ist das anderes als ein Pakt mit dem Teufel zu schließen?  

Aber nein, ich stelle mir Gott anders vor. Ich halte mich an das, was in Jesus Christus von Gott offenbar wurde. Da zeigt sich Gott wie die Freunde in der Rahmenhandlung des Hiobsbuches. Mitfühlend, treu, nahe. Gott sieht mein Elend. Gott lässt sich von meiner Hässlichkeit nicht abschrecken. Gott geht auf mich zu, lässt mich nicht am Rande allein – so wie es Jesus von Nazareth auch getan hat. Gott ist nicht im Bunde mit dem Satan, sondern er vertreibt das Böse. Ebenso wie Jesus Christus nicht im Bunde mit den Dämonen war, sondern sie austrieb. 

Ich will keinem naiven Gottesglauben das Wort reden. Gott bleibt geheimnisvoll. Und wir bleiben oft allein mit unseren Fragen, viel zu oft. Wir stehen rätselnd vor den losen Enden unseres Lebens, und sagen uns: 

Ja, ich dachte einmal, dass ich wüsste, wie das geht mit Gott und mit dem glücklichen Leben, dass eine Logik zu erkennen wäre, der ich mich nur fügen müsse. Aber selbst, wenn ich die Erfahrung mache, dass diese Logik, welches ich zu erkennen meinte, nicht greift, bleibe ich dennoch auf der Suche. Irgendwie muss es ja gerecht zugehen. Irgendeine sinnvolle Logik, irgendeinen roten Faden muss es doch in meinem Leben geben. 

Mag sein, dass ich keine Antwort finde. Denn Gott lässt sich nicht in die Karten schauen, so wenig wie es der Gott des Hiobbuches tut – egal, welche Fantasie ich von ihm entwerfe. Und doch bleibt dieser Gott, wenn es ganz hart auf hart kommt, der einzige, der uns zur Seite tritt – auch ohne dass wir sagen könnten, wir hätten verstanden. 

Gerade dann, lass dir sagen: Gott ist dir nahe. Gerade wenn du ihn am wenigsten bei dir vermutest. 

Amen. 

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