08/08/2024 0 Kommentare
Predigt am Sonntag Septuagesimä 2023
Predigt am Sonntag Septuagesimä 2023
# Predigt
Predigt am Sonntag Septuagesimä 2023
Eine Predigt von Andreas Rehm, damals Schulpraktikant an der Friedenskirche, und Pfarrer Burkhard Weitz
Andreas Rehm (Teil 1)
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Matthäusevangelium, Kapitel 9, Verse 9 bis 13. Ich lese Ihnen die Verse vor:
Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: "Folge mir!"
Und er stand auf und folgte ihm.
Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: "Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?"
Als das Jesus hörte, sprach er: "Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt: 'Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.' Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder."
Soweit der Predigttext.
Am Anfang dieser kleinen Erzählung aus Matthäus 9,9-13 geht Jesus zu Matthäus. Matthäus arbeitet als Zöllner. Jesus sagt ihm: „Folge mir.“ Und Matthäus folgt Jesus nach.
In der Erzählung steht auch, dass Jesus lieber mit Zöllnern und Sündern aß als mit den Pharisäern – also lieber mit bösen Menschen als mit Leuten, die alle religiösen Gebote befolgen. Da ergibt sich für mich die erste Frage: Warum sollen Zöllner böse Menschen sein?
Wenn ich an Zöllnerinnen und Zöllner denke, denke ich erst einmal nicht an böse Menschen, die in ihrem Job Sünden begehen. Sondern ich denke an Leute, die an den Grenzen kontrollieren und darauf achten, dass niemand etwas schmuggelt – wie Drogen oder Waffen. Natürlich treiben sie auch den Zoll ein, also Abgaben für Dinge, die man über die Grenze mitnimmt.
Das Problem in der Antike war: Die Zöllner wurden nicht kontrolliert. Und niemand konnte sich wehren, wenn ihm ein Zöllner zu viel abnahm. Zöllner müssen das sehr ausgenutzt haben. So sehr, dass sie für viele Menschen einfach nur Halsabschneider waren. Leute, die andere um ihr Hab und Gut brachten, egal ob reich oder arm.
Und Jesus sagt nun einem solchen Halsabschneider, dass er ihm nachfolgen soll. Warum ausgerechnet ihm?
Ich vermute: Jesus isst deswegen mit Zöllnern und Sündern, weil er sie bekehren will und sie nicht in Ruhe lassen will – bei all dem Bösen, was sie tun. Denn Gott will Barmherzigkeit und nicht Bosheit. So ähnlich sagt es Jesus auch in der Erzählung.
Natürlich will Gott als Vater, dass niemand von uns anderen Schlechtes tut. Er möchte uns alle als anständige Menschen sehen, die anderen Menschen helfen, statt ihnen zu schaden. Und er kümmert sich besonders um die missratenen. Ähnlich würden es auch Eltern, die mehrere Kinder haben, und eines davon ist ein schwieriges Kind, das sich ständig mit anderen streitet und ihnen ihr Spielzeug kaputt macht.
Natürlich müssen sich die Eltern dann mehr mit diesem schwierigen Kind beschäftigen, um zusammen mit dem Kind an seinem Verhalten zu arbeiten. Und natürlich werden die anderen Geschwister es ungerecht finden, dass sich ihre Eltern so sehr nur um das eine Kind kümmern. So wie Eltern alle ihre Kinder gleichviel lieben, aber mit manchen mehr Mühe haben, so liebt Gott uns auch alle gleich viel – hat aber mit manchen von uns mehr Mühe.
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hat etwas verbrochen und müsste dafür ins Gefängnis. Würden Sie Ihr Kind weiterhin lieben? Ja, da bin ich mir sicher. Zumindest würde ich mein Kind weiterhin lieben. Ich verstehe das so, dass Gott alle Menschen liebt, wie Eltern ihre Kinder, egal wie schlimm sie sich verhalten.
Die nächste Frage, die sich mir stellt ist: Warum lässt Matthäus alles stehen und liegen und folgt Jesus auf seinen Befehl. Jesus und Matthäus der Zöllner kennen einander noch nicht. Matthäus folgt einem fremden Mann.
Würden Sie, wenn eine fremde Person Ihnen sagt: „Komm mit mir!“, mit der fremden Person mitgehen? Ich würde nicht mitgehen. Ich glaube, Matthäus auch nicht, da er ja noch auf die Zollstation aufpassen muss. Wenn jemand sieht, dass er sich von der Station entfernt, wird es nicht gut mit ihm ausgehen. Er ist es wahrscheinlich gewöhnt gewesen, dass er Befehle von ranghöheren Personen kriegt, und dass er sie befolgen muss.
Irgendetwas muss Matthäus in Jesus gesehen haben. War es das, dass Jesus der Messias ist? Einfach so wäre er jedenfalls nicht mitgekommen. Wenn nun Matthäus dem Messias folgt, heißt das, dass sich Matthäus schon gebessert hat? Ich interpretiere es so, dass er auf jeden Fall einen Schritt in die richtige Richtung getan hat, mit der Entscheidung, Jesus zu folgen. Und Matthäus zeigt, dass ihm sein Job als Zöllner nicht das Wichtigste auf der Welt ist.
Isst Jesus erst dann mit den Zöllnern und Sündern, wenn sie sich bereits gebessert haben? Nein, denn Gott will, dass alle Menschen sich gut verhalten. Nicht nur manche. Und deswegen würde Jesus vor allen Dingen mit diesen Leuten essen.
Ich habe mir überlegt, was es heute bedeuten würde, dass Jesus mit den Sündern isst. Wer wären die Sünder, und wer wären die Pharisäer, die sich darüber aufregen? Stellen wir uns vor, Jesus würde sich heute gegen den Klimawandel wenden. Denn das ist das größte Problem, das wir haben. Wenn wir nichts gegen den Klimawandel tun, dann kommen wir darin um. Übertragen wir also diese Geschichte darauf, wie sich Jesus in dieser Frage verhalten würde. Aber genau da wird es schwierig.
Hätte sich Jesus mit den Aktivisten in Lützerath zusammengetan, die für den Erhalt des Dorfes kämpfen und dagegen, dass es dem Tagebau zum Opfer fällt? Oder würde sich Jesus mit den Konzernchefs von RWE treffen, mit Leuten die die klimaschädliche Braunkohle im Tagebau abbaggern lassen?
Wenn ich von dieser Geschichte ausgehe, würde er sich wohl eher mit den Konzernchefs treffen. Und die Aktivisten aus Lützerath wären ziemlich sauer. Das kann ich auch verstehen. Aber warum isst Jesus mit solchen Sündern?
Vielleicht ist Jesus der Meinung, dass es sich mehr lohnt mit diesen Leuten zu sprechen, als das Dorf zu besetzen und die Polizisten anzubrüllen. Protest ändert nichts an der Verhaltensweise von Konzernen. Und vielleicht würde Jesus bei den Konzernchefs ansetzen und versuchen, sie zu einer Meinungsänderung zu bewegen.
Andererseits kann Jesus ja nicht davon ausgehen, dass die Konzernchefs ihre Meinung ändern. Und außerdem können sich die Sünder und Konzernchefs mit jemandem wie Jesus schmücken und so tun, als seien sich schon die besseren Menschen, dann aber trotzdem so weitermachen wie bisher.
Ehrlich gesagt: Wenn ich mir das so überlege, ist es ganz schön schwer, Jesus zu verstehen.
Burkhard Weitz (Teil 2)
Liebe Gemeinde, und ganz besonders lieber Andreas,
du hast eben alles Wichtige sehr gut auf den Punkt gebracht: Dass Zöllner ein ehrbarer Beruf ist. Dass nur die Zöllner zur Zeit Jesu ohne jede Kontrolle von außen Zölle eingezogen haben, und dabei so über die Stränge schlugen, dass alle Welt sie hasste – wegen ihrer Habgier und ihrer Unersättlichkeit und der unmoralischen Form der Selbstbereicherung zu Lasten anderer.
Dann, dass Jesus doch sicherlich auf Besserung drängt. Hoffentlich. Doch davon steht in dieser Geschichte ja gar nichts. Sondern nur, dass sich Jesus mit dem bösen Zöllner Matthäus zum Essen trifft. Das unterscheidet diese Geschichte von der über den kleinen Zöllner Zachäus aus dem Lukasevangelium. Zachäus gibt am Ende alles zu Unrecht Erworbene vielfach zurück. – Aber davon ist in dieser Geschichte gar nicht die Rede. Leider nicht. Denn mir geht es ja so wie dir: So einen korrupten Zöllner kann man doch nur in die Gesellschaft wieder aufnehmen, wenn er sich bessert! Und ja, du hast es genau richtig benannt: Was, wenn der Zöllner einfach nur so tut, als würde er sich bessern, es aber in Wirklichkeit gar nicht tut, sondern weiter andere Leute ausplündert, wie bisher – und sich dazu noch mit diesem Jesus von Nazareth schmückt?
Dann hast du gesagt, Andreas, dass Jesus die Sünder nicht zurücklässt. Ich glaube, das ist ganz entscheidend. Jesus geht auf die Außenseiter zu; er hilft denen, die es nötig haben – wie auch der Arzt oder die Ärztin zu den Kranken geht. Aber auch hier steckt ja etwas Schwieriges drin: Lässt Jesus also die Frommen links liegen? Ignoriert er seine Getreuen?
Und schließlich wie Jesus einen Menschen zum Besseren verwandelt. Du versuchst es pädagogisch zu deuten: Wie Eltern, die ein missratenes Kind haben, sich um dieses Kind besonders kümmern. – Aber sind nicht in dieser Geschichte die Pharisäer und Schriftgelehrten so wie die Eltern aus deinem Beispiel: Sie meinen alles besser zu wissen, als die ihre Sünder, als die Kinder, und dann machen sie am Ende doch so vieles falsch?
Ich denke oft: Jesusgeschichten sind eine Zumutung. Vorhin das Evangelium, das Ada vorgelesen hat, da ging es mir auch schon so. Da bekommen alle Tagelöhner gleich viel Lohn, obwohl einige den ganzen Tag gearbeitet haben, andere nur den halben Tag und wieder andere nur einige wenige Stunden. Auch das eine Zumutung. Denn das ist nach unseren Maßstäben total ungerecht.
Jesusgeschichten sind nur schwer zu verdauen. Und wir sollten diese Zumutungen aus den Jesusgeschichten auch gar nicht kleinreden. Denn in der Irritation, die von ihnen ausgeht, steckt immer eine Art Korrektiv für unser Verhalten, für unsere Haltung.
Was könnten das für Verhaltenskorrektive sein? Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es geht so in diese Richtung: Urteile nicht selbstgerecht über andere, sondern fass dir erstmal an die eigene Nase. Oder: Versuche nicht andere Menschen zu belehren. Begegne ihnen mit vorbehaltloser Liebe. Erlaube ihnen so zu sein, wie sie sind. Vielleicht finden sie ja durch deine Unbefangenheit zu ihrer eigenen Unbefangenheit zurück. Oder: Riskiere etwas. Mach deine Menschenliebe nicht davon abhängig, dass du etwas zurückbekommst.
Gestern war so eine Situation, wo ich mit dem Tod zu tun hatte. Wenn ein Mensch stirbt, verrücken sich alle Maßstäbe. Alles, was wir hier auf Erden anstreben, wirkt auf einmal so vorläufig, so übereifrig, so blindwütig. Gerade in so einer Situation verstehe ich Jesus von Nazareth noch viel mehr. Er scheint mir aufzuschließen, was wirklich zählt im Leben – und im Sterben. Viel genauer kann ich es im Augenblick leider auch nicht sagen.
Die ersten Christinnen und Christen haben gar nicht erst versucht, Jesus zu erklären. Sie standen selbst mit Staunen vor diesem Rätsel, vor dem unerklärlichen Phänomen des Jesus von Nazareth. Vor einem Menschen, der bedingungslos lieben und sich selbst hingeben konnte. Der Menschen einfach so vergeben konnte. Dieser Jesus von Nazareth hat viele Menschen verändert, sicherlich nicht alle. Einige hat er dazu gebracht, ihm zu folgen, ganz bei ihm zu bleiben. Manche hat er auch aufgebracht, verärgert.
Der Evangelist Johannes sagte, offenbar unter dem Eindruck dieses Jesus von Nazareth, dass die göttliche Vernunft in ihm, in Jesus Menschengestalt angenommen habe. Er sagt: Das göttliche Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Amen.
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