08/08/2024 0 Kommentare
Predigt am Ersten Weihnachtstag 2022
Predigt am Ersten Weihnachtstag 2022
# Predigt
Predigt am Ersten Weihnachtstag 2022
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den heutigen Sonntag hat es in sich.
Nicht weil er so schwer zu verstehen ist – das ist er auch. Aber manchmal drückt sich der Apostel Paulus kompliziert aus. Und wenn man dann ein wenig überlegt, dann kann man das doch recht gut mit einfacheren Worten klar machen, was Paulus da sagen will.
Nein, der Predigttext hat es auf andere Weise in sich. Ich glaube nämlich, dieser Predigttext passt gar nicht gut zu Weihnachten. Sie wissen vielleicht, jedem Sonn- und Festtag des Jahres ist ein biblischer Text zugeordnet, über den ich als Pfarrer predigen soll. Das heißt, ich soll darüber predigen, ich muss es nicht.
Aber ich halte mich gern an diese Regelung, weil sie mich dazu zwingt, über einen Text nachzudenken und ihn in Beziehung zu dem jeweiligen Tag zu bringen, auch wenn ich lieber einen ganz anderen Text hätte. Aber es geht ja nicht um mich, sondern um die biblische Botschaft.
Ich lese Ihnen jetzt erstmal den Text vor, fasse ihn zusammen und versuche mich mit Ihnen zusammen dann daran abzuarbeiten. Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Kolosserbrief, Kapitel 2, Verse 3 und 6 bis 10. Dort steht:
„In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. (…) Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus Jesus, so lebt auch in ihm, verwurzelt und gegründet in ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und voller Dankbarkeit. Seht zu, dass euch niemand einfange durch die Philosophie und leeren Trug, die der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt folgen und nicht Christus. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr seid erfüllt durch ihn, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.“
Wie gesagt, das klingt kompliziert. Gemeint ist aber doch: Wir sind in Christus verwurzelt, gegründet. In ihm liegen alle Schätze des Glaubens. An ihm sollen wir festhalten, und an nichts sonst.
Zwei Fragen ergeben sich für mich daraus. Erstens: Was sind für mich die Schätze des Glaubens?
Und zweitens: Was hat Weihnachten damit zu tun? Denn dieser Predigttext ist ja nun einmal dem ersten Weihnachtstag zugeordnet.
Am liebsten würde ich diese beiden Fragen zusammen mit ihnen in einer großen Gesprächsrunde klären. Ich stelle mir vor, wir säßen alle an einem großen Tisch, hätten Speisen vorbereitet, hätten uns auf einen langen Tag miteinander vorbereitet, an dem jede und jeder von uns zu Wort kommt und von sich erzählt: Was sind für mich die Schätze des Glaubens? Und was hat Weihnachten damit zu tun? Und jede und jeder von uns erzählt und erzählt, und es ist wie bei einem antiken Gastmahl bei den alten Griechen, wo man auch zu Tisch saß und sich gemeinsam im Gespräch Gedanken machte zu einem Thema, das einen gerade umtrieb.
Das können wir jetzt nicht tun. Wir können uns heute früh nicht zu einem Gastmahl zusammensetzen. Sondern der Rahmen dieses Gottesdienstes gibt vor, dass ich jetzt predige. Und Sie wollen danach ja auch wieder heimgehen, weil da dann das Mittagessen ansteht. Oder die Gäste noch da sind. Oder Gäste kommen noch. Nein, wir müssen uns jetzt leider nur mit einer Predigt begnügen.
Ich habe mir also Gedanken gemacht: Was sind für mich die wichtigsten Schätze des Glaubens? Und ich muss ihnen leider mitteilen: Weihnachten war nicht dabei.
Dass wir uns nicht missverstehen. Ich liebe Weihnachten. Ich liebe das Lichterfest in der Dunkelheit. Ich liebe es, dass wir uns nicht kleinkriegen lassen, von der depressiven Stimmung, die allein schon durch die kürzer werdenden Tage entsteht. Dass wir immer noch ein Lichtlein anzünden, oder ganz viele Lichter anzünden, damit es hell wird um uns. Ich liebe es, dass wir uns nicht anstiften lassen wollen zu trüben Gedanken, weil das Wetter die ganze Zeit schlecht ist, sondern dass wir es uns gemütlich machen in unseren Stuben. Ich liebe es, dass wir als Familien zusammenrücken und ein Familienfest feiern. Dazu gibt es noch diese wunderbare Familiengeschichte von Maria und Josef und der Geburt ihres Kindes, die Weihnachtsgeschichte. Wunderbar.
Aber all diese Dinge sind ja auch sehr fragil. Das Lichterfest ist irgendwann vorbei. Und dann kommen diese Januar- und Februartage, in denen man nur noch wartet: Wann kommt endlich der Frühling? Wann ist endlich diese trübe dunkle Zeit vorbei? Wann können wir uns mal wieder raussetzen auf den Balkon, in den Garten, in den Park? Und auch die Familie ist ja eine äußerst fragile Angelegenheit. Ich liebe meine Familie, aber sie kann mir auch Kopfzerbrechen bereiten.
Gestern Abend, ich stand gerade vorne an der Tür und verabschiedete die Gemeinde, da vibrierte mein Telefon in der Jackentasche. Mein Bruder war dran, ich konnte leider gerade nicht ans Telefon gehen. Dazu muss ich sagen: Mein Bruder ist telefonisch schwer zu erreichen. Und wir kommen auch nicht so viel dazu, übers Jahr miteinander zu reden. Ich nahm mir also vor, noch eben die Gemeinde zu verabschieden und dann meinen Bruder zurückzurufen. Fünf Minuten später war er schon nicht mehr zu erreichen. Ich war enttäuscht, und ich bin es immer noch. Ja, Weihnachten ist ein wunderbares Familienfest. Aber die Familie kann einem auch wirklich viel Kopfzerbrechen bereiten.
Was sind also für mich die Schätze des Glaubens? Ich will Ihnen meine drei größten Schätze nennen, und ich würde sehr gerne von Ihnen hören, was Ihre Schätze sind. Vielleicht bietet sich ja mal eine Gelegenheit.
Mein erster Schatz: Die Taufe.
In der Bibel ist die Taufe ein Symbol der Umkehr. Die Sünde wird abgewaschen und ich bekomme eine neue Chance. Mein altes Ego wird untergetaucht, „ersäuft“ – so hat Luther es drastisch formuliert – und ein neues Ich, ein neuer Burkhard kommt aus der Taufe gekrochen.
Immer wenn ich mich verrannt habe, immer wenn ich großen Mist gebaut habe, immer wenn ich denke, hier geht’s nicht weiter, du steckst in einer Sackgasse, dann erinnere ich mich an meine Taufe und sage mir: Doch, es geht weiter. Du weißt noch nicht wie, aber es wird weiter gehen. Du wirst ganz bestimmt eine neue Chance bekommen.
Das ist für mich ein riesiger Schatz. Hinzu kommt, dass meine Eltern einen sehr schönen Taufspruch für mich ausgesucht haben. Er lautet: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“
Wenn ich an die Taufe denke, dann denke ich an diese unendliche Gnade Gottes, mich immer wieder in die Arme zu schließen und mir immer wieder eine zweite Chance zu gewähren.
Mein zweiter Schatz: Das Abendmahl.
Ich stelle mir beim Abendmahl vor, ich sitze mit Jesus von Nazareth an einem Tisch. Ich stelle mir vor, wir essen und trinken zusammen, und ich spüre seine Milde und Güte. Und je nach Stimmung trage ich dann ganz unterschiedliche Anliegen an ihn heran.
Manchmal möchte ich einfach nur ein guter Mensch sein und das Richtige tun. Und ich überlege, was dieser Jesus, mein Tischnachbar, mir wohl gleich ins Ohr flüstert, wie er sich in meiner Lage verhalten würde.
Wahrscheinlich würde er mir keinen Rat geben. Wahrscheinlich würde er mich auf irgendetwas Überraschendes ansprechen und mich ins Nachdenken bringen – über mich selbst, wer bin ich wirklich? was will ich wirklich? worauf kommt es mir an in meinem Leben.
Oder ich bin zornig, und ich habe das Gefühl, diese Nähe zu Jesus dämpft meinen Zorn. Ich weiß doch ganz genau, dass er mir raten würde, mich zu versöhnen, nicht so ein hartes Urteil zu sprechen, nicht von der Liebe abzulassen. Aber er würde mir vermutlich keine Vorwürfe machen, er würde mich einfach nur ansehen, und mein Zorn würde sich vielleicht in Scham verwandeln, oder in Tränen.
Mit dem Abendmahl verbindet sich das Vaterunser, mein liebstes Gebet. Es ist so schlicht, es führt mich auf das Wesentliche zurück: Gottes Namen heiligen, auf sein Reich warten, seinen Willen geschehen lassen, sich über das einfache Brot freuen, sich der eigenen Schuld stellen, sich nicht vom Bösen überwältigen lassen.
Wenn wir das vor dem Abendmahl beten, bevor wir uns mit Jesus an einen Tisch setzen, dann spreche ich mit dem Vaterunser die Worte Jesu, die mir so tief einleuchten und die mir elementare Orientierung für mein Leben geben.
Mein dritter Schatz: Ostern.
Das Grab ist leer, Jesus ist nicht bei den Toten – und, nein, mit dem Tod ist nicht einfach nur alles aus, Schluss und vorbei.
Wir müssen im Leben lernen, positiv über das Danach zu sprechen. Denn eines Tages werden wir auf diese enge Pforte des Todes zugehen. Und wir wissen nicht, was dahinter ist. Wir werden einfach nur Angst haben, alles loslassen zu müssen. Und diese Angst macht das Sterben schwer.
Aber Ostern sagt mir: Vertraue auf Gott. Selbst der Tod kann dir keine Angst machen. Schreite mutig über die Schwelle des Todes. Erwarte etwas von Gott.
Ostern sagt mir auch: Lass dich von nichts und niemanden entmutigen. Du kannst dem Tod trotzen, dir kann niemand wirklich etwas anhaben. Ostern ist das größte Mutmachfest, das ich kenne.
Mit Ostern verbindet sich das Bekenntnis meines Glaubens an die Auferstehung der Toten. Ich komme mir immer sehr mutig vor, wenn ich dieses Bekenntnis laut spreche.
Liebe Gemeinde, das sind meine Schätze des Glaubens. Jetzt wären Sie an der Reihe zu erzählen, was Ihre Schätze des Glaubens sind.
Aber Sie werden bemerkt haben: Weihnachten ist bei meinen „Schätzen des Glaubens“ nicht dabei, bei den Schätzen, von denen der Apostel Paulus im heutigen Predigttext spricht.
Ich möchte Ihnen dennoch ein Weihnachtssymbol nahelegen, das mir für meinen Glauben auch wichtig ist: Die Kerze, und das kleine wärmende und erhellende Flämmchen auf der Kerze.
Bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig unmittelbar vor der Wende, vor dem Fall der DDR, trugen die Menschen keine Fackeln, sondern Kerzen. Fackeln haben etwas Martialisches. Fackeln wirken bedrohlich. Wenn Menschen in einem Demonstrationszug mit Fackeln laufen, dann sehen sie aus, wie Brandstifter.
Wenn Menschen mit Kerzen laufen, dann sehen sie harmlos aus. Was kann eine Kerze schon anrichten, draußen, in den zugigen Straßen – damals von Leipzig. Die Menschen müssen ja sogar aufpassen, dass der Wind nicht ihr Lichtlein ausbläst. Die Menschen haben mit ihrer Kerze zu tun. Nie und nimmer strahlen sie etwas Bedrohliches aus.
Im Gegenteil, die Kerze wurde für mich durch die Leipziger Montagsdemonstrationen 1989 zu einem Symbol des Friedens.
Das mag ich an Weihnachten. Dass das Licht, das in die Welt kommt, durch Kerzen symbolisiert wird. Durch kleine, fragile Lichtspender, die schon beim ersten Luftzug ausgeblasen werden können.
An Weihnachten kommt das Licht in die Welt – in Gestalt eines kleinen Kindes in der Krippe. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie sich gestern, heute und in den kommenden Tagen an diesem Licht wärmen können.
Amen
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